02/07/2024 0 Kommentare
Predigt am Palmsonntag
Predigt am Palmsonntag
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Predigt am Palmsonntag
Heute ist Palmsonntag, und wir stehen am Beginn der Karwoche. Wir erinnern uns an den Einzug Jesu in Jerusalem. Er kommt an den Ort, wo er leiden und sterben wird. Jesus ahnt, was ihm bevorsteht, und darum verabschiedet er sich von seinen Jüngern. Das Johannesevangelium erzählt sehr ausführlich von diesem Abschied. Jesus hält Reden, die mit der Fußwaschung bei seinen Jüngern beginnen und mit einem Gebet enden. Denn, so meinte Luther: „Auf eine gute Predigt gehört ein gutes Gebet.“[1] Der heutige Predigttext ist der Beginn dieses Gebets.
1Solches redete Jesus und hob seine Augen auf zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist gekommen: Verherrliche deinen Sohn, auf dass der Sohn dich verherrliche; 2so wie du ihm Macht gegeben hast über alle Menschen, auf dass er ihnen alles gebe, was du ihm gegeben hast: das ewige Leben. 3Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen. 4Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue. 5Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.
6Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. 7Nun wissen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt. 8Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie glauben, dass du mich gesandt hast. (Lutherbibel 2017)
Nachdem er zu seinen Jüngern gesprochen hat, spricht Jesus zu Gott, er betet. Sogar wie er betet, mit zum Himmel erhobenen Augen, erfahren wir. Aus dieser Geste spricht die Konzentration ganz auf Gott. Jetzt geht es nicht mehr um die anderen Menschen, um subtile Botschaften an die Anhänger, sondern im Fokus stehen Jesus und Gott, Gott und Jesus. Das ist wichtig, weil das Folgende ohne diese Beziehung nicht verständlich wäre. Jesus hat seinen nahenden Tod vor Augen. „Die Stunde ist gekommen“, sagt er. Und dann spricht er eine Bitte aus, die in unseren Ohren merkwürdig klingen mag: „Verherrliche deinen Sohn“. Der Kontrast zwischen dem grausamen Tod am Kreuz, der Jesus bevorsteht, und dem Wort Verherrlichen könnte kaum größer sein. Das Kreuz ist eine bewusst grausame und erniedrigende Form der Todesstrafe, die die Römer gezielt zur Abschreckung in den von ihnen besetzten Gebieten einsetzten. Es hat auch religiös eine isolierende Wirkung: „Ein Aufgehängter ist verflucht bei Gott“, weiß das Alte Testament (Dtn 21,23).
Grausamkeit, Erniedrigung und Vernichtung des Lebens in jedweder Hinsicht – Bilder, aus denen genau das spricht, haben uns in der vergangenen Woche aus Butscha erreicht. Wohl keiner von uns kannte den Namen dieser ukrainischen Kleinstadt 25 Kilometer nordwestlich von Kiew zuvor. Nun steht dieser Name für die unfassbare Grausamkeit von russischen Soldaten und Söldnern, für das unaussprechliche Leid der Bewohnerinnen und Bewohner, für das fassungslose Erschrecken der Welt vor diesem Hass und seinen brutalen Folgen.
Was sollen wir dazu sagen? Wie sollen wir damit umgehen?
Butscha müsste uns zum Schweigen bringen, wenn es nicht das Kreuz gäbe. Im Kreuz Jesu sind die unzähligen Butscha-Momente der Weltgeschichte ausgedrückt. Viele dieser Momente hat es gegeben, allzu oft unbekannt sind ihre Namen, zu viele von ihnen wird es leider Gottes auch in Zukunft geben. Wir sind politische Realisten, unter bleichem Schrecken wieder geworden.
Doch weil es das Kreuz gibt, können wir trotz Butscha reden. Nicht dass wir darüber schon alles wüssten. Geschweige denn, dass wir wüssten, wie weitere Butschas zu verhindern wären. Doch im Zeichen des Kreuzes entspringt aus dem namenlosen Leid ein Gebet. Worte, gezeugt aus Schmerz und Tränen. Worte an den Namen Gottes, den Jesus uns gibt, der Jesus selbst ist.
Jesus, der uns weit voraus ist. Der aus der Einheit mit Gott zu Gott spricht. Der sich ganz in Gottes Willen ergeben hat, der sich selbst ganz losgelassen hat, der sagt: Gott, lass mich Herrlichkeit sehen. Er weiß, was ihm bevorsteht, und greift doch im Vertrauen weit darüber hinaus. Der Schmerz und die Schmach werden nicht das letzte Wort haben. Gott hat das letzte Wort, so wie Gott das erste Wort hatte. Und Gottes erstes wie letztes Wort ist Leben. Leben, das durch keinen Schmerz und keinen Tod getrübt werden kann, weil es ewiges Leben ist. Ewiges Leben, das sich jenseits der Grenze der Grenze des Todes vollendet und doch hier und jetzt schon beginnt. In diesem Vertrauen ist Jesus uns weit voraus, mir jedenfalls.
Doch was ist jetzt mit mir, was ist mit uns angesichts all‘ der Butschas in dieser Welt?
„Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart“, sagt Jesus zu Gott und ist selbst einer der Namen Gottes. Und wofür ist ein Name gut, wenn nicht dafür, dass wir ihn anrufen!
Wir schreiben Montag, den 22. Februar 1943. Nach der Verurteilung durch den Volksgerichtshof sieht und spricht die 22-jährige Sophie Scholl noch einmal mit ihren Eltern. Gemeinsam essen sie die Kekse, die Sophies Mutter Lina am Vorabend gebacken hat. Da sagt Sophie zur Mutter: „Es dauert ja nicht lange und wir sehen uns in der Ewigkeit wieder.“ Die Mutter sagt: „Gell, Sophie, Jesus.“ Und Sophie antwortet: „Ja, Mutter, aber du auch!“[2]
Wofür ist der Name Gottes gut, wenn nicht dafür, dass wir ihn anrufen! Wann immer wir ihn brauchen. Gegen die Macht der schrecklichen Bilder, gegen die Angst vor dem Tod, gegen die Verzweiflung. Hier ist einer, der seine Macht nicht zum Zerstören nutzt. Zerstören und Töten kann jeder, das ist keine Kunst. Aber Leben geben, das kann nur einer.
Mit den Konfirmandinnen und Konfirmanden haben wir uns im Februar, rund um den Todestag von Sophie Scholl, intensiv mit dem Schicksal der jungen Widerstandskämpferin beschäftigt. So große Vorbilder können auch etwas Einschüchterndes haben. Ich selbst war mit 22 Jahren auch nicht soweit wie Sophie. Aber ich hatte auch das große Glück, nicht so weit sein zu müssen, weil die Umstände meiner Jugend andere und bessere waren. Sie war mir weit voraus. So wie auch Jesus in seinem Gebet mir weit voraus ist in seinem bedingungslosen Vertrauen zu Gott.
Und dennoch muss mich, muss uns diese Geschichte vom betenden Jesus, der um Herrlichkeit bittet, wo wir nur Tod und Zerstörung sehen, nicht einschüchtern. Denn er gibt uns nicht nur ein Beispiel, wie wir beten könnten, sondern er betet auch für uns zu Gott. Auch hier und heute tritt Christus für uns ein, wo uns die Worte fehlen, wo wir nicht vertrauen können, da bittet er für uns:
Lass ihnen Gutes widerfahren, den traurigen Menschen in Düsseldorf, die sich vor dem Krieg und so vielen anderen Dingen fürchten. Die nicht wissen, wohin sie gehen sollen mit ihrer Angst und Ohnmacht. Öffne ihnen die Augen für die Herrlichkeit deiner Schöpfung, damit sie wieder leicht werden, damit sie ihr Brot mit Freunden essen und ihren Wein mit Hoffnung trinken.
Und wer weiß, vielleicht geschieht das Wunder. Dass wir mit der aufgehenden Sonne am Morgen das Licht des Ewigen sehen. Dass das Lachen unserer Kinder und Enkel die Angst besiegt. Dass die Mahlzeit im Kreis von Freunden den Hass alt aussehen lässt und uns in Liebe vereint. Wer weiß … Und wenn all’ das geschieht, dann ist die Stunde gekommen, dann sehen wir jetzt schon den Frieden, der kein Ende mehr haben wird.
***
[1] D. Martin Luthers Evangelien-Auslegung. Band 4, hg. v. Erwin Mühlhaupt, Göttingen 1961, 559.
[2] Vgl. Thomas Hartnagel (Hg.), Sophie Scholl, Fritz Hartnagel, Damit wir uns nicht verlieren. Briefwechsel 1937-1943. Frankfurt a.M. 2008, 467. – Maren Gottschalk, Wie schwer ein Menschenleben wiegt. Sophie Scholl, eine Biographie, München 32021, 299.
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