02/07/2024 0 Kommentare
Predigt über Römer 1,13-17 (3. Sonntag nach Epiphanias)
Predigt über Römer 1,13-17 (3. Sonntag nach Epiphanias)
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Predigt über Römer 1,13-17 (3. Sonntag nach Epiphanias)
Liebe Gemeinde,
der heutige Predigttext ist dem Anfang des Briefs des Apostel Paulus an die Gemeinde in Rom entnommen.
Bei so einem Brief, der um die 2000 Jahre alte ist, stellt sich nun automatisch die Frage, was dieses zeitbezogene Schriftstück uns heute überhaupt noch mitgeben kann.
Wir sind nicht Rom in der Mitte des ersten Jahrhunderts.
Doch schaue ich mir diesen Text an, entdecke ich, dass damalige Probleme und Fragestellungen heute noch genauso akut sind – wie damals – und dass sie uns – wie damals – vor Herausforderungen stellen.
Zwei letztlich miteinander zusammenhängende Themen möchte ich nenne.
Ich lese zunächst den Text:
13 Ich will euch aber nicht verschweigen, Brüder und Schwestern, dass ich mir oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen – wurde aber bisher gehindert –, damit ich auch unter euch Frucht schaffe wie unter anderen Heiden. 14 Griechen und Nichtgriechen, Weisen und Nichtweisen bin ich es schuldig; 15 darum, soviel an mir liegt, bin ich willens, auch euch in Rom das Evangelium zu predigen. 16 Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. 17 Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht (Habakuk 2,4): »Der Gerechte wird aus Glauben leben.«
Und ich fange direkt mit dem zuletzt Gelesenen an:
Der Gerechte wird aus Glauben leben.
Das ist einer der Kernsätze der biblischen Schriften, der vor allem unsere protestantische Tradition massiv geprägt hat.
In manchen Phasen unserer Kirchengeschichte war das sogar ein Kampfslogan: Aufgrund des Glaubens und nicht aufgrund eigener Taten werde man gerettet. Ein Kampfslogan, der sich lange Zeit gegen die Katholische Kirche richtete und erst Recht gegen das Judentum, dem man eh über die Konfessionsgrenzen hinweg eine sogenannte Werkgerechtigkeit – zu Unrecht! – unterstellte.
„Der Gerechte wird aus Glauben leben“.
Wie ist dieses Satz – übrigens ein Zitat aus der Hebräischen Bibel – zu verstehen?
Die aktuelle Lutherübersetzung formuliert diesen Satz sehr offen. Denn es stellt sich automatisch die Frage, aus wessen Glauben wir denn leben/wir errettet werden?
…aus wessen Glauben?
Ist der eigene Glaube damit gemeint?
Mein Glaube?
Wenn ich es für mich beantworten sollte, dann wäre mein Glaube, aus dem ich leben würde, dann doch sehr mager. So sehr ich mich auch bemühe: mein Glaube ist ein ständig angefochtener, ein gebrochener Glaube. Manchmal sogar mehr Trotz als Überzeugung – Trotz, weil ich all der Gewalt, all dem Unrecht, all der Zerstörung nicht das letzte Wort geben möchte.
Mein Glaube ist allzu oft wie sehr dünnes Eis.
Aber sowohl Paulus selbst – im Zusammenhang – wie auch der von ihm zitierte Prophet Habakuk verstehen unter dem Glauben nicht den eigenen – den menschlichen – sondern den Glauben Gottes, was genauer und auch mehr verständlicher mit Glaubwürdigkeit Gottes übersetzt werden sollte.
„Der Gerechte wird aus Gottes Glaubwürdigkeit leben“.
Glaubwürdigkeit, die wir auch als Treue Gottes zu uns – zu SEINER Schöpfung verstehen können.
Ihr – dieser Treue – etwas zuzutrauen, zu vertrauen, eröffnet Leben.
Sich daran zu klammern: an Gottes Treue.
Und damit ist ein erstes, damaliges Problem benannt – das bis in unsere heutige Zeit reinreicht. Denn dieses Statement des Apostels ist damit automatisch ein Verweis auf Gottes Treue-Geschichte.
Und die ist – bis heute! – untrennbar mit der Geschichte des Volkes Israel verbunden.
Die alten selbstgewählten Glaubenssätze unserer christlichen Tradition – die schon damals in dieser vor allem aus Heidenchristen zusammengesetzten jungen römischen Gemeinde lebendig waren – dass wir das erwählte Volk ersetzt hätten – dass Israel von Gott verworfen sei – dass der alte Bund nicht mehr gelten würde – verkennen das, worauf unser Glauben bauen muss. Zerstört vielmehr das, was unseren Glaubensversuchen einen Raum gibt.
Lesen wir die Hebräische Bibel, das Alte Testament, dann ist es doch eine Story mit vielen, vielen Kapiteln, in dem das durchbuchstabiert wird, was wir zu Beginn eines jeden Gottesdienstes sagen: dass wir hier sind im Namen dessen, der Wort und Treue hält ewiglich und nicht fahren lässt das Werk seiner Hände.
Wir proklamieren jeden Sonntag Gottes Glaubwürdigkeit!
Und wo wir uns als Christenmenschen über die vielen Jahrhunderte immer mit Inbrunst von unseren jüdischen Geschwistern abgesetzt haben – auf ihre Kosten! – da hätten wir lieber mit Freude auf die alten Schriften und auch auf diese Geschwister gucken sollen: als lebendige Verkörperung der Treue Gottes. Als Hinweis, dass es wohl mit Gottes Glaubwürdigkeit, SEINER Treue etwas auf sich hat.
„Der Gerechte wird aus Glauben leben“.
Ein Satz mit praktischen Konsequenzen.
Der Gerechte – er oder sie ist der Mensch, der oder die diesem Gott vertrauen möchte, um IHM nachzufolgen - versucht SEINE Weisungen zu beherzigen.
Paulus schreibt das an die Gemeinde in Rom. Wie schon gesagt: er versucht dieser Gemeinde, die aus nicht jüdischen Menschen besteht, die Verbundenheit zu Israel nahezubringen. Ihnen deutlich zu machen, dass diese Verbundenheit dem eigenen Glauben eine Grundlage gibt.
Und darin ist dieser Brief als Ganzer aber auch allein dieser kurze Ausschnitt gleichsam eine Erinnerung an uns, den Gott Abrahams und Sarahs in unser Herz zu lassen – uns zu sehen am Rockzipfel des Gottes Israels mit SEINEM Volk.
Ein altes Problem und zugleich ein aktuelles in einer Zeit, in der Antisemitismus sich mehr und mehr mehrt.
Wo stehen wir?
Nehmen wir unseren Glauben ernst, können wir nur an die Seite unserer jüdischen Geschwister stellen.
Vertrauen wir Gottes Treue kann uns das nur dazu bringen, uns gegen jede Form von Judenfeindschaft zu wehren – und darin als logische Konsequenz auch gegen jede Form anderer Menschenfeindlichkeit.
Denn die Anfangssätze – das ist der zweite Aspekt -, die in dieses alte Zitat ausmünden, zeigen uns gerade auch angesichts des eben Ausgeführten eine gleichsam aktuelle Situation damals auf: die Gemeinde Jesu war von Anbeginn – wie wir heute sagen – divers.
Neben Juden und Jüdinnen waren es „Heiden: Griechen und Nichtgriechen, Weise und Nichtweise…“.
Auch wenn uns die Begrifflichkeiten, die Paulus verwendet, heute fremd sind, kommt damit zum Ausdruck, dass die Gemeinde Jesu damals ein bunter Haufen war: unterschiedliche Herkunft, Hautfarbe, Kultur, Lebensweisen. Alles war vertreten – und das gemeinsame Band war, dass sich diese Menschen von Evangelium haben ansprechen lassen. Dass sie da etwas gefunden haben, was sie getragen hat.
So wie es heute genauso ist.
Bunt.
Divers – in jeder Hinsicht.
Eine Glaubensgemeinschaft aber – und das ist der Knackpunkt – in alten Strukturen, in denen immer sorgfältig unterschieden wurde und wird – mehr noch separiert wurde und wird – diskriminiert wurde und wird – wo Menschen, die anders sind aufgrund von Herkunft oder Hautfarbe oder Geschlecht oder sexueller Ausrichtung immer schlechte Karten hatten und haben.
Wo sich – Gott sei es geklagt – gerade hier in Europa eine weiße, männlich-chauvinistische Kirche durchgesetzt hat, die blind und taub gegenüber jeder Form von Diskriminierung, Rassismus und darin Antisemitismus geworden ist.
Diversität als genetischer Code des Christentums.
Angesichts unserer Zeit voll von Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus.
Und das nicht nur in unserer Gesellschaft.
Es ist immer auch ein kirchliches Thema – denn Kirche ist ja kein eigener Kosmos, sondern immer auch Teil dieser Welt, in der sich jede Gesellschaft irgendwie widerspiegelt.
Insofern ist dieser Predigttext nicht nur automatisch eine Erinnerung an die Diversität aller Glaubenden: wo niemand besser ist als jemand anderes - wo vielmehr wir alle von dem einem Gott getragen sind – von dem, DER glaubwürdig ist – uns treu ist.
So ist dieser Text vor allem ein Anlass zur Demut – ein Anlass zur Selbstkritik – ein Anlass gedanklich aber auch praktisch einzuüben, dass wir Teil des Bunten sind.
Ein Text, der uns vor Augen führt, dass nicht nur eine Kirche der Ort sein muss, an dem alle sein dürfen, so wie sie sind – dass niemand sich ausgegrenzt fühlt – dass gerade da jede Form von Menschenverachtung keinen Platz hat.
Wie ist es bei uns – hier in Deutschland?
Hier in Düsseldorf?
Hier in Emmaus?
Der Gerechte – die Gerechte wird aus Gottes Treue leben.
Und Treue Gottes ermöglicht uns die Treue unserem Mitmenschen gegenüber.
Insofern…um an den Anfang zurückzukommen: ein alter Brief…und doch so aktuell.
Amen.
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