Predigt zu Römer 8,18-25 "Das Leiden kann nicht aufgewogen werden!"

Predigt zu Römer 8,18-25 "Das Leiden kann nicht aufgewogen werden!"

Predigt zu Römer 8,18-25 "Das Leiden kann nicht aufgewogen werden!"

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Predigt zu Römer 8,18-25 "Das Leiden kann nicht aufgewogen werden!"

Liebe Gemeinde,

der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht im Brief des Apostel Paulus an die Gemeinde in Rom. Da heißt es im 8. Kapitel:

18 Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.  19 Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden.  20 Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit — ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat -, doch auf Hoffnung;  

21 denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.  22 Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet.  23 Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes.  24 Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht?  25 Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld.

Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.

Ein Satz, der in unserer Zeit…und auch grundsätzlich…ein Satz ist, der - so formuliert - etwas Unerträgliches hat.

Ist das nicht – wenn wir ihn wortwörtlich ernst nehmen – ein schrecklicher Satz? 

Die Opfer des Krieges in der Ukraine – ihr Leiden... ?

Fallen nicht ins Gewicht!

Die Opfer auf Seiten Israels beim Massaker der Hamas am 7.Oktober? 

Fallen nicht ins Gewicht!

Oder heruntergebrochen auf unsere Lebensverhältnisse: das Leiden der vom Tode Gezeichneten...das der Missbrauchten? Das der Angehörigen?

Fallen nicht ins Gewicht! 

Oder noch einmal historisch gewendet eingedenk des 9. November vor wenigen Tagen: Auschwitz? 

Fällt nicht ins Gewicht!

Alles Leiden nichts...gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll? 

Gehen wir davon aus, dass Paulus es wirklich so gemeint haben sollte, würden alle Leidenden aller Zeiten verhöhnt.  Würde ihnen doch zugerufen – sinngemäß: „Stell Euch mal nicht so an...wenn mal das Reich Gottes anbricht, ist alles gut!“.

Aber hat es Paulus wirklich so gemeint?

Es ist effektiv eine Frage der Übersetzung. 

Und jede Übersetzung ist immer auch eine Interpretation.

Luther in allen Ehren, aber seine Übertragung ins Deutsche ist geprägt von einer Haltung, alles Unrecht auf Erden tapfer zu ertragen und zu erleiden…es hinzunehmen als Prüfung oder sogar als von Gott gewollt. Eine fatale Haltung, die das von Menschen gemachte Leid eben einfach hinnimmt. Keiner Wunder, dass sein Übersetzen ausmündet in diesen fürchterlichen Satz, dass die Leiden dieser Zeit nicht ins Gewicht fallen.

Der Theologe Jürgen Ebach überträgt diesen Satz anders ins Deutsche:

Ich urteile nämlich so: die Leiden der gegenwärtigen Zeit sind NICHT aufzuwiegen gegen die kommende Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll. 

Leid kann nicht aufgewogen werden – kann nicht relativiert werden.

Auf einmal bekommt diese Aussage des Paulus einen ganz anderen Sinn.

Ich möchte das begründen:

Die Übersetzung Luthers wiegt Leiden und Erlösung gegeneinander auf: mit dem Effekt, dass das Leiden von der Erlösung überlagert, verdeckt und so verharmlost und vernachlässigt wird. Und: hingenommen wird.

Doch in den biblischen Schriften – und so auch bei Paulus – wird das Leiden in der Welt gerade nicht kleingeredet oder ignoriert...oder schön geredet...oder relativiert…und erst Recht nicht hingenommen.

Das Leiden wird sehr genau wahrgenommen. Mehr noch: die, die leiden, werden ernst genommen... ihr sehnlicher Wunsch, dass das, was das Leiden verursacht, möge verschwinden, wird von den biblischen Schriften geteilt: das ist einer der roten Fäden der gesamten Bibel.

Aber was bedeutet es, wenn das Leiden eben nicht aufgewogen werden kann?

Worum geht es Paulus mit dieser Aussage?

Die Antwort gibt der Predigttext im weiteren Verlauf:

Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes.

Wir sind als Christinnen und Christen in diese Welt hineingestellt worden: als Menschen, denen es eben nicht egal ist, dass in dieser Welt Zustände vorzufinden sind, die Leid verursachen. Mehr noch: wir sind selbst vom Leid umhüllt. Und als Christen und Christinnen ist uns so eine solidarische Haltung implantiert – ins Herz gegeben worden.

Was heißt das?

Zuerst: Dass wir uns nicht mit dem Zustand dieser Welt zufriedengeben. Vielmehr auf ein Ende allen Leids hoffen.

Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld.

Geduld? Ja – Geduld im Sinne von Beharrlichkeit!

Dass wir uns da an das geduldig/beharrlich festklammern, was uns verheißen ist: an die Befreiung. Weil wir wissen, dass Gott das letzte Wort hat - und dass so auch das Leben und eben nicht das Leiden das letzte Worte haben wird.

Geduld hat etwas Widerständiges!

Zum anderen bedeutet Geduld, dass wir uns nicht von denen irre machen lassen, die uns einreden wollen, dass es eben so ist, wie es ist. Von denen, die uns weiß machen wollen, dass etwas alternativlos sei – die uns weichklopfen wollen, damit wir den Zustand dieser Welt in letzter Konsequenz hinnehmen. Denn das Leiden in dieser Welt ist nach biblischer Sichtweise kein Schicksal und auch keine göttliche Vorgabe.

Geduldig hinzugucken – und eben nicht weggucken.

Und das konfrontiert uns mit zwei Zumutungen:

Die erste:

Das, was unrecht ist, auch als Unrecht zu benennen. Die Ursachen des Leids – die Verursacher, die Täter und Täterinnen – zu benennen.

Ich erwähnte zu Beginn meiner Predigt den 7. Oktober: das Massaker, das die Hamas anrichtete.

Das war menschengemachtes Leid.

So schrecklich der Krieg im Nahen Osten jetzt ist…und wo jedes Opfer - ganz gleich auf welcher Seite – ein Opfer zu viel ist und unser Mitgefühl verdient, so schrecklich das alles ist, ist gerade – um der Opfer auf allen Seiten willen – festzuhalten, dass die Hamas eine Terrororganisation ist, die unschuldige, israelische Menschen auf dem Gewissen hat… die die eigene Bevölkerung als Schutzschild missbraucht… die nichts anderes im Sinn hat, als den einzig demokratischen Staat in der Region dem Erdboden gleichzumachen und dabei jüdisches Leben zu vernichten.

Es ist eine notwendige Voraussetzung für solidarisches Handeln, Täter und Opfer zu unterscheiden…die Ursache des Leids beim Namen zu nennen.

Und dabei die schrecklichen Konsequenzen von Gewaltzusammenhängen nicht aus den Augen zu verlieren…wo dann nur so - um beim Krieg im Nahen Osten zu bleiben - das Mitgefühl mit Israel und das Mitgefühl mit der palästinensische Zivilbevölkerung wahrhaftig sein kann – und eben nicht einer perfiden Täter-Opfer-Umkehrung auf dem Leim zu geht.

Die zweite Zumutung:

Die von Paulus formulierte Hoffnung auf ein Ende allen Leids ist inklusiv.

Es gibt einen Midrasch zur Befreiung des Volkes Israels aus Ägypten – als die Ägypter, die den Israeliten nachjagen, in den Fluten des Roten Meeres ertrinken. Als dann der himmlische Hofstaat in Jubel ausbrach, dass die Sklavenhalter - die Täter und Verursacher allen Leids - unter den Wassermassen begraben wurden...diese fürchterlichen Sklavenhalter, die selbst davor nicht zurückgeschreckt haben, Babys zu töten...Menschen, die große Schuld auf sich geladen haben...große Schuld...als also der himmlische Hofstaat anfing zu jubeln, fuhr Gott – gesegnet sei SEIN Name – dazwischen und sagte: Hört auf – auch das sind meine Geschöpfe.

Das ist vielleicht die größte Zumutung, wenn Paulus in seinem Brief an die Gemeinde die Hoffnung auf Erlösung für die gesamte Schöpfung formuliert…dass diese Hoffnung im Umkehrschluss auch die Täter, die Verursacher des Leids einbeschließt…weil eben auch sie Gottes Geschöpfe sind.

Gedanklich und emotional ist das nur schwer auszuhalten. 

Und so schwer das auszuhalten ist: es ist notwendig.

Diese inklusive Hoffnung will uns davor bewahren, dass wir nicht selbst einer Hamas-Logik verfallen…oder einer Logik Putins für den Menschenleben keinen Cent wert sind…oder all der anderen, die über Leichen gehen. 

Diese Hoffnung ist Ausdruck einer Humanität, die sich weigert, genau das zu machen, was eben an diesem 7. Oktober die Hamas gemacht hat: ihre Opfer zu entmenschlichen. Es ist eine Hoffnung, die sich nicht vergiften lassen will vom Hass anderer…die sich nicht in die Niederungen der Unmenschlichkeit ziehen lassen will.

 22 Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet.

Was bedeutet solidarischen Handeln praktisch?

Für uns? Hier? Was können wir tun?

 Zwei Möglichkeiten:

Dass wir uns hier in Düsseldorf…in diesem Land schützend und bedingungslos vor Jüdinnen und Juden zu stellen.

Dass wir jede Form von Antisemitismus zu ächten.

Und dann auch die Stimme gegen jede Form von Islamfeindlichkeit zu erheben. 

Hamas ist nicht jeder und jede mit einem Koran in der Hand.

Und: schlicht zu beten!

Zu beten für die Opfer des 7. Oktober. 

Für die Menschen in Israel. Für alle Juden und Jüdinnen an den vielen anderen Orten dieser Erde: auch hier in Düsseldorf.

Zu beten für ein Ende des Hasses. 

Zu beten für die palästinensische Zivilbevölkerung. 

Und …so sehr es für uns auch Überwindung kostet…auch für die Täter zu beten: für die Hamas…das sie abkehren von diesem Irrsinn. Dass sie ihr menschliches Antlitz wiederfinden: dass sie umkehren.

Amen.

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