Predigt zum 8. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 8. Sonntag nach Trinitatis

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Predigt zum 8. Sonntag nach Trinitatis

Von Stefan Kläs.  Als Coco Chanel im Sommer 1923 an Bord der Jacht ihres Verehrers ging, vergaß sie ihren Sonnenschirm an Land. Das Paar schipperte die Küste entlang, turtelte an Deck bei kühlendem Wind und reflektierenden Wasser und schon verunstaltete ein Sonnenbrand das Gesicht der berühmten Modeschöpferin. Daheim staunten die Pariser nicht schlecht über den verdunkelten Teint der Berühmtheit. Denn bis dahin war vornehme Blässe angesagt in der Welt der Reichen und Schönen. Doch Coco Chanel machte aus dem Versehen einen Trend. Für einen Fotografen posierte sie im weißen Leinenkleid, das ihre neue Hautfärbung betonte: „Ich sah aus, als sei ich voller Energie“, sagte sie. Diesen Effekt suchen seitdem die sommerlichen Sonnenanbeter rund um den Globus, ob am Strand, in den Bergen oder am Rheinufer. Bald erkannten auch Ärzte die positive Wirkung von UV-Strahlen: Sonne fördert die Durchblutung, kurbelt die Produktion von Glückshormonen an, lockert die Muskulatur, stärkt das Immunsystem. In Maßen wohlgemerkt! Wer es übertreibt, schädigt seine Gesundheit.

Dennoch ist die Sehnsucht nach dem Licht ungebrochen, denn es erleuchtet die Welt. Das Licht der Sonne zeigt uns die Welt in ihren schönsten Farben und Formen. Das türkisblaue Meer, die saftige Bergwiese, die Menschen in ihrer Schönheit und Vielfalt auf den Straßen unserer Stadt. Alles das könnten wir ohne das Licht der Sonne nicht sehen. Welch ein Jammer wäre das!

 Eine Geschichte von Licht und Blindheit, von solchem Jammer und großem Glück erzählt der Evangelist Johannes. In Kapitel 9 heißt es:

1 Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war.

2 Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?

3 Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm.

4 Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.

5 Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.

6 Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden

7 und sprach zu ihm: Geh zu dem Teich Siloah – das heißt übersetzt: gesandt – und wasche dich! Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder.

(Lutherbibel 2017)

 Ich habe große Freude daran, die Welt zu sehen. Vor allem jetzt, in diesen Tagen und Wochen, in denen uns die Sommersonne leuchtet. Die Vorstellung, einmal nicht mehr sehen zu können, finde ich beängstigend. Wie es sich anfühlt, die Welt nie mit eigenen Augen gesehen zu haben, weil man blind geboren wurde, kann ich mir nicht vorstellen.

Was genau ist eigentlich Blindheit? Bei Blindheit denken viele zuerst an eine schwere Sehbehinderung. Aber von Blindheit sprechen wir auch, wenn Menschen sehenden Auges etwas nicht erkennen können. Und umgekehrt gibt es Blinde, die geradezu hellsichtig sind, die besonders gut wahrnehmen können, Gefühle, Stimmungen, aber auch Gedanken. Blinde Menschen sind genauso kompetent wie Sehende und haben das Recht auf die Förderung ihrer Begabungen. Das heißt: Man kann auf unterschiedliche Weisen blind sein oder sehen.

 Das Johannesevangelium spricht auf zwei Ebenen von Blindheit und Sehen, im eigentlichen Sinne des Wortes und im übertragenen Sinne. Der Blindgeborene in der Geschichte kann tatsächlich mit seinen Augen nicht sehen. Nach heutigem Sprachgebrauch ist er sehbehindert. Die Jünger bemerken den Blinden und betreiben Ursachenforschung: „Rabbi“, fragen sie Jesus, „wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?“ Diese Frage der Jünger erscheint uns heute möglicherweise unverständlich und wir könnten versucht sein, sie dafür zu verurteilen. So fragt man doch nicht, so moralisch! Aber auch wir heute fragen nach den Ursachen, wenn wir Leid und Katastrophen nicht verstehen.

Warum ist das Haus an der Luisenstraße vergangenen Dienstag eingestürzt und mindestens ein Mensch gestorben? Der Statik-Nachweis fehlte, steht in der Zeitung.

Wir halten uns an solche Informationen, weil wir uns die Welt erklären wollen, weil wir Sinn in den Dingen sehen müssen, auch wenn die Antworten heute noch vorläufig sind. Die Frage nach Verantwortung und Schuld wird sich auch in diesem Falle stellen und die Gerichte beschäftigen.

In der Gedankenwelt der Jünger ist Schuld eine mögliche Ursache für Krankheit. Nicht irgendeine Schuld, nicht Kleinigkeiten, aber die Sünde schlechthin, von der in der Bibel immer wieder die Rede ist: der Götzendienst, die Verehrung eines anderen Gottes als des Gottes Abrahams, Isaak und Jakobs. Wir denken heute in der Regel nicht mehr daran, sondern an andere Sünden. Hat er geraucht? Hat sie zu wenig Sport getrieben? Die Frage nach der Schuld stellt sich, weil sie unabweisbar ist. Sie ist ja auch durchaus realistisch. Menschen werden schuldig und verursachen schlimme Dinge.

Doch die Frage nach Schuld bringt nicht in jedem Falle die Lösung des Problems. In manchen Fällen wirkt die Schuldfrage sogar regelrecht zerstörerisch, vor allem wenn falsche Vorwürfe erhoben werden. Wer zum Beispiel vom „China-Virus“ spricht, statt vom Coronavirus, der beleidigt Menschen rassistisch. Aber nicht nur in der Politik, auch im privaten Leben kennen wir die zerstörerische Kraft von Schuldvorwürfen. Wenn Paare streiten und plötzlich die Frage im Raum steht, wer hat wann was gesagt? und wer hat eigentlich angefangen?, dann ist er schwer, da wieder herauszukommen.

 Es sei denn, es kommt jemand wie Jesus und bringt einen ganz anderen Gedanken ins Spiel. Jesus verwandelt die Schuldfrage und eröffnet einen neuen Blick auf die Lage des blinden Menschen: „Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm“, sagt Jesus. Er richtet damit den Blick nach vorne statt nach hinten. Was auch immer gewesen ist im Leben des Blinden oder seiner Eltern, es ist jetzt nicht mehr wichtig. Jetzt soll es hell werden im Leben des Blinden. Jetzt soll ihm wieder das Licht des Tages scheinen, er soll wieder sehen können.

Und bei dieser Art des Sehens geht es Jesus nicht nur um die Sehbehinderung des Mannes, sondern um einen ganz neuen Blick auf die Welt. Es geht nicht nur um Berge und Seen, um die Farben und Formen des Leben, sondern um offene Augen für das, was die Welt eigentlich ist.

Die Welt ist Gottes Schöpfung!

Die Welt, in der wir leben, ist nicht nur das Material, der Rohstoff für unsere eigenen Projekte. Sie ist ja schon ein Werk, ein Werk Gottes mit ihrer ganz eigenen Güte und Schönheit. Und diese Welt ist auch dort ein Werk Gottes, wo sie uns unvollständig oder defekt vorkommt. Nicht nur das Perfekte nach unseren Maßstäben ist Gottes Schöpfung, sondern die Welt, wie sie ist, auch mit ihren Schatten- und Nachtseiten.

Und in dieser Welt tritt nun einer auf, der sagt: Wir müssen die Werke Gottes wirken. Er selbst, „das Licht der Welt“, zuerst und dann auch wir, seine Jüngerinnen und Jünger. Gott ist mit seiner Schöpfermacht, mit seiner heilsamen Kraft weiter präsent, gegenwärtig in unserer Welt. Manchmal, wenn wir auf die Schattenseiten der Welt stoßen, dann sieht es nicht so aus. Darum ist es wichtig, dass Jesus uns daran erinnert: Gott wirkt in der Welt. Seine Werke geschehen auch heute unter uns. Wir können sie tun, wir können Licht in die Welt bringen, und Jesus zeigt uns, wie es geht.

 Jesus heilt den Blindgeborenen. Er tut ein Wunder, sagen wir. Und manch einer fragt sich jetzt vielleicht: Bin ich Jesus? Kann ich Wunder wirken?

Doch was tut Jesus eigentlich?

Jesus bringt schöpferische und heilsame Kraft von Gott in die Welt. Er tut dies mit einer ganz und gar handwerklichen Methode. Er rührt einen Brei aus Erde und Spucke an, eine Salbe für die Augen. Und diese Salbe wirkt. Dass sie wirkt, ist vielleicht tatsächlich ein Wunder. So wie es ein Wunder ist, wenn Medikamente heute anschlagen, was sie keineswegs immer tun.

Doch wichtiger noch ist:

Jesus öffnet uns die Augen! So etwas ist möglich in Gottes Schöpfung!

Menschen sehen, wie Gottes Werke geschehen, hier und heute. Menschen werden heil an Leib und Seele. Und Menschen können mitmachen.

Wir können mitmachen und Licht in die Welt bringen.

Es fängt immer damit an, dass wir überhaupt an diese Möglichkeit glauben, die Jesus uns eröffnet hat. Das heißt auch: Es fängt immer mit dem Glauben an ihn an, der das Licht Gottes verkörpert und die Werke Gottes getan hat wie kein anderer.

Er hat sie getan, damit wir sie tun können.

  „Ihr seid das Licht der Welt“, sagt Jesus in der Bergpredigt zu seinen Jüngern, sagt es zu uns. „Licht der Welt“, das klingt groß, vielleicht sogar zu groß für unsere kleine Kraft. Darum ist es wichtig zu glauben: Es ist Gottes Kraft, die durch uns wirkt, auch im Kleinen, sogar in einem einfachen Brei aus Erde und Spucke.

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