02/07/2024 0 Kommentare
Predigt zum 9. Sonntag nach Trinitatis
Predigt zum 9. Sonntag nach Trinitatis
# Predigten

Predigt zum 9. Sonntag nach Trinitatis
Liebe Leserin, lieber Leser,
der Kampf gegen die Corona-Pandemie stellt die Welt vor gewaltige Aufgaben und macht den Ausnahme- zum Normalzustand. Ausgangsbeschränkungen und -sperren, Grenzkontrollen, Aufrechterhaltung der kritischen Infrastruktur: Viele Staaten kämpfen im Innern mit zahlreichen Maßnahmen gegen eine weitere Ausbreitung des Virus und die Folgen der Krise.
Am Dienstag habe ich in der Zeitung (RP vom 4. August 2020) ein lesenswertes Interview gelesen: Der Erkenntnistheoretiker Markus Gabriel sieht diese Zeit so: Wir sind mitten in einer historischen Zeitenwende, so der Bonner Philosoph. Darum sei die Zeit für eine neue Aufklärung gekommen. Nach seinen Worten sind Philosophen die Rufer in der Wüste, die man jetzt hören müsse.
Gerade in solchen Zeiten von Krisen brauchen Menschen Trost, Stärkung, Gewissheit und Zuversicht, die nachhaltig wirken. Echter Trost erfordert mehr als schöne Worte und Streicheleinheiten. Eine nachhaltige Stärkung erfordert auch einen realistischen Blick auf die Ursachen und Auswirkungen der Krise und Katastrophe. Echte Zuversicht hält auch die Konfrontation mit eigenem Fehlverhalten aus und stellt sich der Notwendigkeit, eigene Einstellungen und eigenes Verhalten zu verändern. Man braucht „Rufer in der Wüste“.
Als Christen orientieren wir uns an der Bibel. Und dort lesen wir, wie Gott für nachhaltigen Trost, Stärkung, Gewissheit und Zuversicht sorgt. Wie er deshalb in den Krisen- und Katastrophenzeiten seines Volkes Propheten erwählt und berufen hat.
Einer dieser Propheten war Jeremia. Seine Berufungsgeschichte ist der Predigttext für diesen Sonntag. Sie wird uns in den Versen 4 bis 8 des ersten Kapitels im biblischen Jeremiabuch erzählt:
„Und des HERRN Wort geschah zu mir: Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleib bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker. Ich aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung. Der HERR aber sprach zu mir: Sage nicht: „Ich bin zu jung“, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predige alles, was ich dir gebiete. Fürchte dich nicht vor ihnen, denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR.“
Nach biblischem Verständnis können Menschen sich nicht selbst und auch nicht einander zu Propheten ernennen – etwa aufgrund einer besonderen Ausbildung und auch nicht mit Hilfe einer besonderen Zeremonie.
Die Bibel erzählt uns davon, dass Gott selbst sich Menschen aussucht.
Er allein entscheidet, welchen Menschen er seine Wahrheit in einer ganz besonderen Weise offenbart.
Jeremia hatte also keine Wahl. Das Propheten-Amt war ihm von Gott zugedacht, noch bevor er gezeugt wurde.
Und: Jeremia ist nicht freudig überrascht oder gar stolz auf seine Aussonderung und Berufung durch Gott. Jeremia quälen Angst und Selbstzweifel. Jeremia fühlt sich zu jung und zu unerfahren. Er weiß genau: Es ist nicht einfach, den Menschen unangenehme Wahrheiten zu sagen, Selbstgerechtigkeit und scheinheilige Frömmigkeit zu demaskieren und Gottes Gericht anzukündigen. Jeremia fürchtet sich vor Verachtung, vor Einsamkeit und vor Verfolgung – und zwar zu Recht!
Gott zieht seine Berufung angesichts von Jeremias Angst nicht zurück. Aber Gott nimmt Jeremias Angst ernst und setzt der berechtigten Angst sein göttliches Versprechen entgegen:
Jeremia, fürchte dich nicht vor den Reaktionen der Menschen. Denn ich bin bei dir und werde es nicht zulassen, dass Menschen dich mundtot machen oder dass sie dein Leben endgültig zerstören. Ich, dein Gott, will dich erretten!
Die Berufungsgeschichte des Propheten Jeremia ist eine einzigartige Geschichte.
Und doch: Gott beruft auch uns. Dich und mich. Gott beruft uns zum Reden.
Gott beruft uns zum Handeln.
Gott beruft uns alle, jeden Tag und jede Stunde neu.
Gott legt uns seine Worte in den Mund und er legt uns seine Taten vor, dass wir sie tun.
Er ruft uns bei unseren Namen, er braucht uns für diese Welt.
Er sagt zu uns: „Sag was! Tu was! Mach was!“
Und dann spüren wir das Notwendige.
Wir wissen was richtig und was falsch ist, und wir haben den Impuls etwas zu tun - wer sonst?
Aber ach, ich bin zu jung. Ich kann nicht gut reden. Ich bin zu alt. Ich habe gerade keine Zeit. Dafür muss es Profis geben. Ich bin nicht zuständig.
In aller Regel sind das aber nur Ausflüchte. Vielleicht sogar ehrlich gemeinte, die uns und allen anderen einleuchten. Aber letztlich ist es doch immer wieder Angst.
Manchmal ist es wichtig auszusprechen, dass man Angst hat.
Sich einzugestehen, dass man sich für ungeeignet hält, etwas zu unternehmen.
Dann gibt man zu, dass man Angst hat und handelt letztlich doch.
Wer seine Angst überwindet, ist am Ende mutig.
Wir kennen auch aktuell Angst. Wir haben Angst vor etwas Großem.
Wir haben Angst die Wahrheit zu sehen oder zu hören, weil wir ja dann
etwas machen müssten.
Wenn wir wirklich wüssten, dass der Klimawandel unsere Welt bedroht, ja dann müssten wir doch alle gemeinsam handeln.
Wenn wir wirklich wüssten, dass der wirtschaftliche Neo-Liberalismus eine Bedrohung für unsere Demokratie in Europa ist, ja dann müssten wir doch gemeinsam handeln.
Wenn wir wirklich wüssten, dass Flüchtlinge nicht unser Leben bedrohen, sondern dass das Leben der Flüchtlinge bedroht ist, ja dann müssten wir doch gemeinsam handeln.
Aber es ist eben nicht so einfach. Die Welt ist kompliziert, Wahrheiten sind gefährlich und wir können uns auch schützend hinter die komplizierten Strukturen ducken, die wir nicht verstehen.
Wir haben Angst. Das ist nichts, wofür man sich schämen muss.
Jeder hat Angst, jeder und jede darf Angst haben, wir dürfen die Angst
nur nicht als Ausrede für Nichtstun benutzen.
Fürchte dich nicht! ist darum die immer wiederkehrende Botschaft Gottes.
Fürchte dich nicht! „Ich bin zu jung. Ich tauge nicht zum Predigen, ich bin zu jung“, wehrt sich der Prophet Jeremia. Aus Angst sagt er nein.
Aber Gott sagt: Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir und will dich erretten.
Wir sind doch alle keine Helden.
Gott sucht auch keine Helden, sondern uns.
Männer wie Mose, die nicht reden können, sollen sein Wort verkündigen.
Die Prostituierte Rahab, eine Frau am Rande der Gesellschaft, versteckt und rettet die Kundschafter Josuas in ihrem Haus.
Maria, eine junge und einfache Frau wird auserwählt, Jesus Christus zur Welt zu bringen. Fürchte dich nicht!
Aber sie haben Angst.
Oder Petrus, der zuerst alles andere als ein Fels ist, wird zum Fundament der Kirche.
Alles keine Helden.
Fürchtet euch nicht.
Gottes Berufung passiert so: Plötzlich und unerwartet mitten im Leben werden wir gebraucht. Das kann zu jeder Stunde geschehen.
Dann erkennst Du klar, was zu tun ist.
Aber auch Erkennen braucht Vorbereitung.
Wir brauchen Mahnerinnen und Propheten, die uns vorbereiten, die uns sagen:
„Der Kessel kocht! Da kommt etwas auf uns zu! Seid wachsam!“
Wer so eine Botschaft mit offenen Ohren hört und zulässt, dass auch etwas Schreckliches möglich ist; dass auch das Undenkbare passieren kann, der bereitet sich vor.
Wir brauchen die Rufer in der Wüste, Propheten, die uns darauf vorbereiten und wir brauchen Menschen, die das Richtige tun.
Ja, und warum sollten das nicht auch Philosophinnen und Philosophen sein?
Eine junge Prophetin der heutigen Tage sehe ich in Greta Thunberg.
Sie ist jung, wurde am 3. Januar 2003 in Schweden geboren.
Sie ist eine Galionsfigur der Klimaschutzaktivisten.
Und sie wird hart kritisiert, die Stimmung gegen sie wird eisiger.
Greta Thunberg ist ein heutiger Jeremia. Ich hoffe, dass Gott ein Auge auf sie hat.
Greta Thunberg spricht unbequeme Wahrheiten aus und sie ist vielen äußerst unbequem und sie hält sich nicht an Regeln.
Auf der UN-Klimakonferenz in Katowice sagte sie 2018: „Wir Kinder tun oft nicht das, was ihr Erwachsenen von uns verlangt. Aber wir ahmen euch nach. Und weil ihr Erwachsenen euch nicht für meine Zukunft interessiert, werde ich eure Regeln nicht beachten.“
Natürlich rufen solche Äußerungen Widerstand hervor.
Und häufig kommt auch die Gegenwehr reflexartig. „Soll die Göre doch erst einmal erwachsen werden.“
Aber sie kritisiert nicht nur unsere Welt der Erwachsenen, sie ordnet die Zeichen der Zeit in unser aller und vor allem in das Leben der Kinder ein.
„Was ich auf dieser Konferenz zu erreichen hoffe, ist die Erkenntnis, dass wir einer existenziellen Bedrohung ausgesetzt sind. Dies ist die größte Krise, in der sich die Menschheit je befunden hat. Zuerst müssen wir dies erkennen und dann so schnell
wie möglich etwas tun, um die Emissionen aufzuhalten und versuchen, das zu retten,
was wir noch können.“
Sie sagt nicht nur Unheil an, sie sagt nicht nur dass der Kessel kocht; sie sagt auch, dass es noch etwas zu retten gibt, vielleicht wie der Mandelzweig,
der auch immer wieder Blüten trägt.
Wir brauchen die Propheten und Prophetinnen und die Welt braucht uns Menschen, dass wir mit unserem Handeln, diese Welt in Gottes Namen ein bisschen besser machen. Jeden Tag neu.
Kommentare