Predigt zum 10. Sonntag nach Trinitatis / Israelsonntag

Predigt zum 10. Sonntag nach Trinitatis / Israelsonntag

Predigt zum 10. Sonntag nach Trinitatis / Israelsonntag

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Predigt zum 10. Sonntag nach Trinitatis / Israelsonntag

Liebe Leserinnen und Leser

Heute ist der Israelsonntag – ein Sonntag, an dem es um das Verhältnis von Christen und Juden geht: ein Verhältnis, das über fast 2000 Jahre davon geprägt gewesen ist, dass das Judentum von christlicher Seite in Wort und Tat fast durchgehend angegriffen wurde / angegriffen wird.

Anlässlich dessen möchte ich erst einmal eine grundsätzliche Frage stellen:

Warum müssen religiöse Menschen diejenigen, die anders glauben, immer gleich theologisch abschreiben, verdammen oder sie schon in der Hölle schmoren sehen?

Was geht in ihnen vor?

Woher kommt dieser Drang, es besser zu wissen? Urteilen zu dürfen? „Im Namen Gottes“ das dann auch zu tun?

Was passiert da?

Und dabei geht es ja nicht immer gleich um Fanatismus. Gucken wir allein auf die die akademische, protestantische Theologie des 19. und 20. Jahrhunderts, können wir sehen wie sie in weiten Teilen das Judentum theologisch in jeder Hinsicht eliminiert: unaufgeregt, bürgerlich gesittet, ganz wissenschaftlich und ohne mit der Wimper zu zucken. 

Es scheint im religiösen Erleben und Denken genetisch verankert zu sein, Richter und Richterin spielen zu wollen: sich zu erheben über andere - die selbst gefühlte Überlegenheit in Worten und oft genug auch in Taten gerinnen zu lassen.

Warum?

Ich frage das als Christ. Denn ich bin Christ und ich bin Protestant. Und ich bin das aus vollster Überzeugung. Ich fühle mich in meiner Tradition verankert und finde das, was mir wichtig ist, in keiner anderen Religion - auch nicht in einer anderen Konfession. 

Kann ich überzeugter Christ sein – ohne zu veruteilen?

Was bedeutet es dann für mich, wenn andere etwas anderes glauben?

Ja - es ist eine Herausforderung.

Ja - ich werde hinterfragt durch mein Gegenüber, der oder die anderer Meinung ist.

Ja - es ist anstrengend - oft genug eine Zerreißprobe, weil Gegensätze im Raum stehen bleiben. 

Das für mich Entscheidende dabei: 

Ist die andere Glaubenssichtweise für mich ein Angriff auf mich oder meine eigenen Glaubenswahrheiten? Eine böse Provokation? Eine Ungeheuerlichkeit? Etwas Gotteslästerliches?

Oder kann ich es auch anders sehen und daher auch anders erleben?

Der andere Glaube: kann er u.U. einen Sinn haben…für mich…für uns als Christenmenschen? 

Ein Text, der mich dazu bringt, genau dies zu unterstellen / vorauszusetzen, ist ein Abschnitt aus dem Brief des Apostel Paulus an die Gemeinde in Rom. 

Dort gab es damals eine blühende christliche Gemeinde. Quasi alle waren Menschen, die nicht zum jüdischen Volk gehörten und die auch wenig Ahnung vom Judentum hatten – sie kamen aus den Völkern, was Luther schon tendenziös als „Heiden“ ins Deutsche übersetzt hat. Und bei ihnen setzte sich ein simpler Gedankengang fest, der sich bis heute notorisch im christlichen Denken festgesetzt hat. Ein Gedankengang wie folgt: die Juden glauben nicht an Jesus als den Christus - als den Sohn Gottes. Also haben sie einen eklatanten Fehler gemacht. Waren sie vorher von Gott erwählt, haben sie das durch ihren Unglauben verspielt: sind also verworfen - theologisch erledigt. Jetzt sind nur noch diejenigen, die an Jesus glauben, von Gott geliebt.

Und darauf reagiert Paulus und schreibt folgende Zeilen:

25 Ich will euch, Brüder und Schwestern, dieses Geheimnis nicht verhehlen, damit ihr euch nicht selbst für klug haltet: Verstockung ist einem Teil Israels widerfahren, bis die volle Zahl der Heiden hinzugekommen ist. 26 Und so wird ganz Israel gerettet werden, wie geschrieben steht (Jesaja 59,20; Jeremia 31,33): »Es wird kommen aus Zion der Erlöser; der wird abwenden alle Gottlosigkeit von Jakob. 27 Und dies ist mein Bund mit ihnen, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde.«

28 Nach dem Evangelium sind sie zwar Feinde um euretwillen; aber nach der Erwählung sind sie Geliebte um der Väter willen. 29 Denn Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen. 30 Denn wie ihr einst Gott ungehorsam gewesen seid, nun aber Barmherzigkeit erlangt habt wegen ihres Ungehorsams, 31 so sind auch jene jetzt ungehorsam geworden wegen der Barmherzigkeit, die euch widerfahren ist, damit auch sie jetzt Barmherzigkeit erlangen. 32 Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.

Paulus widerspricht der Auffassung, das jüdische Volk sei erledigt. Ganz im Gegenteil: es ist nicht nur nach wie vor das erwählte Volk - die Glaubensdifferenz bei der Christusfrage dient uns Christenmenschen: wir profitieren davon. Mehr noch: Gott selbst gibt dem einen Sinn, dass Christen und Juden im Blick auf Jesus nicht einer Meinung sind. Und weil ER - Gott - dem einen Sinn gibt, gilt es, sich danach zu richten, dass für alle Gottes Barmherzigkeit gelten wird. Niemand kippt da raus.

Zwei grundsätzliche Dinge lerne ich aus diesem Text:

1. Ich soll mich als Christ / wir sollen uns als Christen selbst nicht für klug halten. 

Was heißt das?

Wir sind nicht Gott.

Wir schauen IHM auch nicht über die Schulter.

Erst Recht sind wir nicht diejenigen, die meinen, in SEINEM Namen urteilen zu können oder zu dürfen.

Sich selbst nicht für klug halten heißt positiv formuliert:

Demut und Respekt im Blick auf Gott als dem Schöpfer - der höher ist als all unsere Vernunft.

ER allein ist das Maß aller Dinge und nicht unsere oft ungelenken Glaubensversuche.

IHM die Ehre zu geben, heißt eben, uns mit unseren Überzeugungen nicht absolut zu setzen. Damit zu rechnen - mehr noch Gott zuzutrauen, dass ER sich als der Schöpfer allen Lebens schon etwas bei all dem gedacht haben mag.

Und das, was Paulus an die Römer im Blick auf das jüdische Volk in Worte fasst, hat etwas Grundsätzliches.

Die andere Glaubensweise als Ausdruck dafür, dass Gottes Schöpfung schlicht größer und weiter ist als ich - als wir es erst einmal erfassen kann. Eine Einladung, den eigenen Glauben tiefer zu ergründen und im Guten gemeinsam mit anderen zu ringen um das, was wir Gott nennen.

Die eigene Identität soll da nicht aufgeweicht werden. 

Ich bin Christ und Protestant - und bleibe es.

Vielleicht gilt es schlicht einen Unterschied zu beherzigen: 

Nicht die andere Glaubensüberzeugung ist automatisch ein Problem. Es ist immer wieder interessant, dass die biblischen Texte - speziell die des Alten Testamentes - an dieser Stelle sehr klar und zugleich relaxt sind: Menschen anderen Glaubens, wenn sie im Horizont der Weisungen Gottes handelten, in dem sie sich z.B. für Humanität einsetzten, waren nie ein Problem.

Erst dann wird es innerbiblisch problematisiert, wenn Menschen auf Kosten anderer handelten und andere Glaubensüberzeugungen wurden erst dann kritisiert und auch verurteilt, wenn durch sie z.B. Grundsätze der Humanität mit Füßen getreten wurden - wie z.B. beim Menschenopfer. 

Oder wie Jesus sagte: an ihren Taten werdet Ihr sie erkennen.

Nicht der andere Glaube, sondern eine menschenfeindliche Ethik ist das Problem.

Demut gegenüber Gottes – für uns unergründliches – Schöpferhandeln ermöglicht Gelassenheit gegenüber Menschen anderer Glaubensüberzeugungen … lässt sie uns erkennen als Mitgeschöpfe.

Und eröffnet einen Raum für die grundsätzliche und in der Vergangenheit sträflich vernachlässigte Frage, wie gemeinsam dieser Welt Gottes gedient werden kann. 

Aburteilen nur weil jemand etwas anderes oder anders glaubt, ist nichts anderes als Kleinglaube – eigentlich Unglaube.

Und das, was ich jetzt sehr allgemein formuliert habe, gilt für uns Christen und Christinnen zu allererst gegenüber unseren jüdischen Schwestern und Brüdern. Einmal davon abgesehen, dass wir ohne sie unseren eigenen Glauben gar nicht verstehen könnten: das jüdische Volk war und ist genau das, was es gemäß der Verheißung Gottes an Abraham sein sollte: ein Segen für uns. Ein Segen, den wir - Gott sei es geklagt - als Christenheit meist ignoriert und mit Füßen getreten haben. 

2. Gottes Barmherzigkeit ist inklusiv.

Das ist das zweite, was ich aus diesem Paulusbrief lerne.

Es unterstreicht letztlich das bisher Gesagte und entlastet uns Menschen. Denn wenn wir auf die Barmherzigkeit Gottes vertrauen dürfen - die aller Welt gilt - dann kann uns das doch aus dieser gnadenlosen bis hin tödlichen Konkurrenz herausnehmen.

Es gibt uns Sicherheit und kann uns den Zwang nehmen, unbedingt die sein zu müssen, die die meiste Weisheit mit Löffeln zu sich genommen zu haben.

Denn so heißt es doch in dem Psalm, den wir vorher gesprochen haben: 

HERR, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen. Deine Gerechtigkeit steht wie die Berge Gottes / und dein Recht wie die große Tiefe. HERR, du hilfst Menschen und Tieren. Wie köstlich ist deine Güte, Gott, dass Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben! Sie werden satt von den reichen Gütern deines Hauses, und du tränkst sie mit Wonne wie mit einem Strom. Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, und in deinem Lichte sehen wir das Licht.

Amen.

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