Predigt zum 11. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 11. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 11. Sonntag nach Trinitatis

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Predigt zum 11. Sonntag nach Trinitatis

Jesus sagte aber zu einigen, die überzeugt waren, fromm und gerecht zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis:

Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.

Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.

Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!

Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden. (Lutherbibel 2017)

 

Liebe Gemeinde!

Als der nordfriesische Bauer Peter Johannsen im Oktober 1872 sein siebtes Kind Helene taufen ließ, da gab es im Anschluss ein besonderes Kirchencafé. Es wurde starker, gesüßter Kaffee gereicht, mit einem guten Schuss Rum, gekrönt von einem großen Löffel Schlagsahne. Der Pastor des Ortes galt als streng und asketisch. In seiner Gegenwart trank niemand Alkohol. Bis Peter Johannsen auf die Idee mit der Schlagsahne kam. Die war wirklich praktisch. Der Rum verdunstete nicht, sodass ihn niemand riechen konnte. Bis der Pastor an jedem denkwürdigen Tauftag aus der falschen Tasse trank. Die Legende will, dass er ausrief: „Oh, ihr Pharisäer!“ Damit hatte das Nationalgetränk der Nordfriesen nicht nur seine Geschichte, sondern auch seinen Namen. Allerdings einen problematischen Namen!

 

Denn in dieser Legende bündelt sich wie unter einem Brennglas die Geschichte des Vorurteils gegen die Pharisäer, also gegen eine wichtige Gruppe im Judentum zur Zeit Jesu. Die Pharisäer gelten als Inbegriff der Heuchlerei. Wasser predigen und Wein trinken, moralische Ansprüche an andere stellen, ihnen aber selbst nicht genügen, zahlreich sind die Variationen, in denen dieser Vorwurf erhoben wird. Um es gleich zu sagen: Das Neue Testament ist daran nicht ganz unschuldig. Doch es ist auch nicht für jede beliebige Lesart verantwortlich zu machen. Schauen wir also, was wirklich im Text steht und was Legende ist.

 

In diesem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner scheinen auf den ersten Blick die Rollen eindeutig verteilt zu sein. Hier der heuchlerische Pharisäer, dort der demütige Zöllner. Beide erscheinen holzschnittartig, mehr Typen als lebendige Menschen, und sie stehen für eine Umwertung der Werte in der damaligen Gesellschaft. Waren die  Pharisäer eigentlich eine angesehene Gruppierung des zeitgenössischen Judentums, so erscheint dieser hier als Urbild des Heuchlers. Und auf der anderen Seite: Waren Zöllner eigentlich eher zwielichtige Typen, die ihre Landsleute durch Steuertricks übervorteilten und sich an die römische Besatzungsmacht verkauften, so erscheint dieser hier als Muster an Demut und Frömmigkeit. Für uns, die wir weder Pharisäer noch Zöllner sind, weder besonders fromm noch besonders schlecht, sondern irgendwo in der Mitte zwischen den Extremen, scheint die Geschichte also schnell erledigt zu sein. So weit, so gut ­– und altbekannt.

Doch so einfach sollten wir es uns nicht machen mit den beiden Figuren und mit dieser kleinen Geschichte.

Denn Jesus erzählt diese Geschichte als ein Beispiel dafür, wie Gottes Reich schon jetzt mitten unter uns ist.[1] Ein Beispiel dafür, wie Gott heute unter uns wirkt und Menschen verändert, in ihrem Verhältnis zu Gott und zueinander.

 

Den entscheidenden Hinweis darauf gibt uns die Leseanweisung des Evangelisten Lukas vor dem eigentlichen Gleichnis. Denn Jesus erzählt das Gleichnis nicht irgendwem, sondern „einigen, die überzeugt waren, fromm und gerecht zu sein, und verachteten die andern“ (V. 9). Der Pharisäer im Gleichnis veranschaulicht einfach nur diese Haltung. Weder ist er damit ein typischer Vertreter pharisäischer Frömmigkeit, noch ist seine Frömmigkeit eine Karikatur pharisäischer Frömmigkeit.[2] Er wird einfach benutzt als Beispiel für eine weitverbreitete Haltung. Das ist der Beitrag des Neuen Testaments zum Vorurteil gegenüber den Pharisäern. Zugleich wird aber deutlich gesagt: Hier sind alle gemeint, die sich selbst erhöhen, und zwar auf Kosten anderer und indem sie andere abwerten. Das kann also in diesem konkreten Fall auch einmal ein Pharisäer gewesen sein, aber das Phänomen als solches ist derart weitverbreitet, dass man es praktisch überall findet.

Menschen, die sich selbst auf Kosten anderer erhöhen und indem sie andere abwerten, nennen Psychologen heute Narzissten.

 

Narzissten haben zwei Gesichter. Sie sind schillernde Persönlichkeiten. Sie wirken einerseits oft faszinierend und anziehend auf andere Menschen. Sie machen einen charmanten Eindruck und haben häufig Führungspositionen inne. Auf der anderen Seite sind sie unangenehm. Ihnen sind die Bedürfnisse anderer Menschen egal. Sie wollen bewundert werden, rivalisieren stark mit anderen und werten andere ab, um sich selbst großartig zu fühlen. Bei manchen Menschen erwächst aus dieser Haltung eine regelrechte Persönlichkeitsstörung. Doch auch wenn längst nicht jeder im medizinischen Sinne am Narzissmus erkrankt, so ist dieser doch im Alltag weit verbreitet. Der amerikanische Historiker Christopher Lasch sah uns bereits 1979 im Zeitalter des Narzissmus angekommen.[3] Wohin Lasch blickte, überall beobachtete er die Ausbreitung einer ausufernden Ichbezogenheit: in der Politik, in der Wirtschaft, im Bildungswesen, in der Kultur und im Privaten.

Und damals gab es noch gar keine Selfies und kein Instagram!

Der Drang, sich selbst darzustellen, sich permanent mit anderen zu vergleichen und diese anderen dann auch abzuwerten, ist in den sozialen Medien ein Mega-Trend. Mit jedem Like im Netz, mit jeder positiven Resonanz wird die Sorge, nicht zu genügen, nicht gut und schön genug für diese Welt zu sein, für einen kleinen Augenblick besänftigt – bis sie von neuem wieder Besitz von uns ergreift und wir in immer kürzeren Abständen neue Bestätigung brauchen. Für manche Menschen ist dies ein Teufelskreis, an dem sie zerbrechen, aus dem sie irgendwann aussteigen müssen. Digitale Entgiftung ist dann die einzige Rettung.

 

„Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute“, dieses Gebet zeigt, dass das Bedürfnis nach Selbstdarstellung und Abwertung vor dem innersten Kreis unserer Seele und vor unserer Beziehung zu Gott keinen Halt macht. Es gibt Frömmigkeitsformen, die von dieser religiösen Selbstbespiegelung durchdrungen sind. Die im Grunde nichts anderes sind als eine Form der Selbstüberhöhung durch Religion: Gott ist mein Freund und findet mich super. Vordergründig ist das eine gute Nachricht. Wenn das aber alles ist, was wir über unser Verhältnis zu Gott denken, dann drehen wir uns in diesem Glauben nur um uns selbst und unsere eigenen Bedürfnisse.

 

Was wäre die Alternative?

Der Evangelist Lukas gibt am Ende unseres Predigttextes so etwas wie eine Handlungsempfehlung:

„Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.“

Ich muss zugeben, im Blick auf das konkrete Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner, ist dieser Satz eine korrekte Zusammenfassung der Ereignisse.

Als allgemeine Lebensregel habe ich damit jedoch so meine liebe Mühe. Denn nicht jeder, der sich selbst erhöht, wird tatsächlich auch erniedrigt. Manch einer kommt mit seiner Selbstüberhöhung erstaunlich lange und erschreckend gut durch. Die täglichen Nachrichten sind voll davon. Aber auch die Bibel: „Ich ereiferte mich über die Ruhmredigen, da ich sah, dass es den Frevlern so gut ging“, spricht der Beter im Psalm (73,4).

Und andererseits, wollen wir wirklich die Selbsterniedrigung zum Programm erheben? Gar noch die Form von zur Schau gestellter Demut, die im ersten Moment bereits anmaßend, weil falsch wirkt?

 

Ich glaube, das Gleichnis selbst ist klüger als seine Anwendung am Schluss. Denn was tut der Zöllner? Der Zöllner geht in den Tempel und sucht die Begegnung mit Gott. Von dieser Begegnung erwartet er alles. Von ihr hängt sein Leben ab. Es fällt auf, dass er auf jede Form der Selbstdarstellung verzichtet. Weder bezichtigt er sich besonderer Untaten, noch führt er positive Eigenschaften ins Feld, die es möglicherweise ja auch gäbe. Der Zöllner tritt vor Gott und bittet um seine Gnade. Er glaubt an einen Raum vor Gott und betritt diesen Raum, in dem jede Form der Selbstdarstellung, positiv wie negativ, einfach vollkommen überflüssig ist. Er nennt sich einen Sünder, das Ja, weil er weiß, dass er ein sterblicher Mensch ist, der vor den Heiligen Gott tritt. Aber damit sagt er nichts anderes als:

Hier bin ich, Gott. Ich bin angewiesen auf dich. Nimm mich an, wie ich bin. Mach aus mir einen Menschen nach deinem Bilde.

Liebe Gemeinde!

Ich wünsche mir, dass der Raum, den wir vor Gott betreten, ob hier in unserer Kirche oder zu Hause im Gebet, eine selbstdarstellungsfreie Zone ist. In einer Welt der Bühnen und Showrooms, brauchen wir Orte, an denen wir zur Ruhe kommen und neue Kraft schöpfen können. Orte und Zeiten, in denen wir in der Gegenwart Gottes einen Augenblick verweilen können. Wo wir ganz bei ihm sind, um dann als neue Menschen zu uns selbst und zu den anderen zu kommen.

 

Gebet

Gnädiger Gott, du kommst zu uns

und schenkst uns Gemeinschaft mit dir.

Wir danken dir für deine Liebe,

mit der du uns verwandelst und bitten dich:

Schenke uns einen Ort bei dir,

wo wir Ruhe finden und unsere Seele auflebt.

Für diejenigen, die von sich selbst geblendet sind,

bitten wir, dass sie ihre Schatten erkennen und annehmen.

Für diejenigen, die sich immerzu klein machen müssen,

bitten wir, dass sie deine Barmherzigkeit erkennen und glauben.

Für unsere Politikerinnen und Politiker bitten wir:

Erlöse sie aus den Zwängen der Selbstdarstellung

und hilf ihnen, den Menschen zu dienen.

Für deine Kirche bitten wir: Bleibe bei uns und hilf uns,

einen realistischen Blick auf uns selbst zu gewinnen.

Wo wir von alter Größe träumen, mach uns demütig.

Wo wir uns vor der Zukunft fürchten, schenke uns Hoffnung

auf neues Leben.

Amen.


[1] Kontext: Lk 17,20 f.

[2] Vgl. Michael Wolter: Das Lukasevangelium. Tübingen 2008, 593.

[3] Christopher Lasch: The Culture of Narcissism. 1979; dt. Das Zeitalter des Narzißmus. München 1980.

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