Predigt zum 12. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 12. Sonntag nach Trinitatis

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Predigt zum 12. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Leserinnen und Leser

Im Markus-Evangelium ist folgende Geschichte zu finden:

31 Und als er (Jesus) wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte.  32 Und sie brachten zu ihm einen, der taub und stumm war, und baten ihn, dass er die Hand auf ihn lege.  33 Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und berührte seine Zunge mit Speichel und 34 sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata! , das heißt: Tu dich auf!  35 Und sogleich taten sich seine Ohren auf und die Fessel seiner Zunge löste sich, und er redete richtig.  36 Und er gebot ihnen, sie sollten’s niemandem sagen. Je mehr er’s aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus.  37 Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend.

Das ist ein Predigttext, der erst einmal gar nicht in diese Zeit zu passen scheint: Jesus begnügt sich nicht einfach mit aufrichtenden oder heilenden Worten, sondern rückt dem Taubstummen regelrecht zu Leibe.

Corona-bedingt ist doch Abstand geboten – erst recht kein Austausch von Körperflüssigkeiten. 

Aber auch abseits dessen: ist das nicht eh eine Geschichte, die im wahrsten Sinne un-glaublich ist – eben eine Wundergeschichte, die heutzutage doch kaum noch ernst zu nehmen ist?

Was machen wir damit?

Eine Variante ist die, die in der Vergangenheit von einer Vielzahl von Theologen und Theologinnen, genutzt worden ist: direkt auf eine andere Ebene zu springen. Diese auf den Leib rückende Wundergeschichte zu übertragen.

So gehe es gar nicht um die reale Heilung eines Taubstummen – sondern darum, dass jemand, der wohl seine volle Hör- und Sprachfähigkeit hat, endlich das hört, was er oder sie hören soll, und so auch wieder kommunikationsfähig wird.

Wo also Jesus jemanden aus einer Blockade, einem Verstocktsein herausholt...im Sinne eines Aufwachens...eines „Zur-Besinnung-Kommens“.

Das ist ein sympathischer Ansatz – schon deshalb weil das – im Gegensatz zu einer Heilung – unsere Erfahrung sehr viel mehr berührt. 

Wer kennt das nicht...bei sich selbst, beim Partner oder Partnerin...im Freundeskreis? In diese Starre zu geraten...vollkommen auf etwas fixiert zu sein...wie mit Scheuklappen ... zugenagelt ... durch die Welt zu gehen...nichts mehr richtig wahrzunehmen...einhergehend mit einer abnehmenden Mitteilungsfähigkeit. Und wie heilsam ist es, wenn es gelingt, jemand da wieder rauszuholen: die Workaholiker ... die Verbohrten ... die von durch Überforderung Gelähmten...diejenigen, die in das „schwarze Loch“ einer Lebenskrise hineingezogen worden sind.

Ein sympathischer Ansatz ist das auch deshalb, weil Jesus effektiv genau das ja auch getan hat. 

Die berühmte Geschichte vom Zöllner und Zachäus, der auf solch eine Art und Weise taubstumm vor sich hin gelebt hat, ist dafür ein Paradebeispiel: Jesus schafft es, diesen Menschen zum Aufwachen...wieder zum Hören und zum Sprechen zu bringen – ihn wieder seine menschlichen Züge erkennen zu lassen. Und Jesus hat dabei keine Berührungsängste: er hält selbst die Nähe mit so einen wie Zachäus aus, der es nicht einmal wert ist, dass man vor ihm ausspuckt. 

Doch – jetzt kommt der Einwand – so sympathisch der Versuch ist, diese Wundergeschichte so verstehen zu wollen...und auch wenn dieser Versuch auf den ersten Blick sehr stimmig erscheint...: dieser Versuch hält sich letztendlich selbst diese Geschichte wahrlich vom Leibe. Verharmlost sie.

Denn der Geschichtenerzähler Markus hat sich schon etwas dabei gedacht, dass er Jesus in den Ohren des Taubstummen bohren lässt...Jesu Spucke mit der Zunge des Mannes in Berührung bringt.

Es geht hier wirklich um einen Taubstummen.

Auch wenn es – im übertragenen Deutungsversuch – um ein Heilwerden geht...hier wird von einer Heilung im medizinischen Sinne berichtet.

Und da sind wir wieder am Anfang: bei dieser Mischung aus Belächeln und bei der Anstößigkeit – erst recht zu Coronazeiten.

Was ist also von dieser Geschichte zu halten?

Bleiben wir beim Anstößigen…dem fast Ekeligen:

Ist es das wirklich ekelig?

Wenn wir erst einmal ausblenden, dass am Ende eine Heilung steht: ist das nicht auch eine wahnsinnig berührende Szene, die uns das vorgeführt wird.

Da ist jemand, der ein Handicap hat...jemand, der dadurch automatisch benachteiligt ist...isoliert ist.

Und da kommt dann dieser Rabbi aus Nazareth auf ihn zu...und berührt ihn. Ohne jede Sorge...ohne Angst...auf so eine Art und Weise, dass kein Gefühl bei dem Betroffenen aufkommen kann, anders als andere behandelt zu werden. Keine Vorsichtsmaßnahmen!

Die Berührung als Ausdruck eines Zugewandtseins, das nicht gefiltert ist.

Berührung als Zeichen dafür, einfach als Mensch wahrgenommen zu werden.

Und nicht als Mensch mit einem Handicap.

Sicherlich: es mag uns fremd zu sein, wenn Jesus dem Mann im Ohr rumbohrt...mit seinem Speichel die Zunge des Mannes berührt.

Was aber festzuhalten ist, ist die Vorbehaltlosigkeit...diese Selbstverständlichkeit der Berührung. 

Und wir sollten nicht vergessen, dass das Berühren eines anderen Menschen das durch und durch Menschlichste ist, was man jemanden schenken kann. 

Vom ersten Atemzug an...wie auch am Ende: gerade bei Sterbenden ist das Berühren oft das Einzige, Wohltuende, was wir jemanden zukommen lassen können...und dass eine Berührung...wo Worte fehl am Platz wären, auch in anderen Situationen, Labsal ist.

Und wo wir gerade in diesen Monaten erleben, wie uns das doch fehlt: das Berührtwerden. Wann habe ich meine erwachsenen Kinder das letzte Mal in den Arm nehmen können?

Hier aber das vorbehaltlose Begegnen. 

Wann hat jemand das letzte Mal diesen Taubstummen berührt? Und ist nicht in einem Bogen um ihn gegangen? 

Jesus berührt ihn.

Und zu dieser Vorbehaltlosigkeit – und das ist das zweite Wunderbare in dieser Geschichte – gehört, dass es an keine Bedingung gekoppelt ist. Da muss nichts bekannt, vergeben werden – da muss nicht umgekehrt werden. Einfach so. Selbstverständlich.

Was zählt ist der Mensch – in seiner Situation.

Wenn wir das sacken lassen...und vielleicht so über das Anstößige hinwegkommen...so wird doch damit eine tiefe Sehnsucht berührt...dass auch wir so etwas erleben könnten: dieses vorbehaltlose Zugewandtsein.

Doch dabei bleibt die Geschichte nicht stehen. Da wird noch mehr erzählt.

Wo unser Erfahrungshorizont der ist, dass wir gerade im Blick auf das Thema Handicaps oder auch Krankheit oft genug die hilflosen Helfer und Helferinnen sind...Menschen eben nicht geheilt werden – nicht geheilt werden können … gerade in diesen Corona-Zeiten – wo uns immer wieder die Ohnmacht einholt...fesselt...da mutet uns Markus eine Heilung zu.

Und das Belächeln enthüllt sich da als ein Mix aus verschiedenen Impulsen. Eben daraus, wie diese Ohnmacht aufblitzt: dieses Verletztsein...wie auch diese verzweifelte Hoffnung, dass doch bitte ein Wunder geschehen möge...und dann das Über-ich...der Verstand, der uns zur Räson zu bringen versucht, doch solchen Blödsinn als Menschen des 21. Jahrhunderts nicht auf dem Leim zu gehen.

Wie ist es also mit diesem Wunder?

Gibt es Wunder?

Ist das wirklich – ernstgemeint von Markus?

Ich versuche eine Antwort, in dem ich die letzten Verse beleuchte: da ist es ja so – typisch Markus – dass Jesus am Ende allen verbietet, von der Heilung zu sprechen. Praktisch mit der genau entgegengesetzten Wirkung. 

Was ist, wenn es Jesus ernst gemeint haben sollte – mit dem Verbot. Deshalb, weil er damit etwas zum Ausdruck bringen wollte...so in dem Sinne: „Hört mal, mein Job ist nicht ausschließlich zu heilen. Daher macht aus mir jetzt nicht den Wunderheiler. Weil das ein Missverständnis wäre. Ich bin hier, um von Gott zu sprechen...davon zu reden, was sein wird. Wenn ich heile, dann um deutlich machen, dass Gott das letzte Wort hat – dass sich IHM nichts in den Weg stellen kann...es soll Euch daran erinnern, dass das Reich Gottes alle Menschen in ihrer Ganzheit im Blick hat.“

In dieser Umschreibung sehe ich eine Antwort auf die Frage nach dem Wunder: es macht Ernst damit, dass wir im Leben und im Sterben von Gott gehalten sind...dass ER stärker ist als alles, was das Leben in Frage stellt. Und so sind die Wunder Jesu Zeichen... Platzhalter der Erinnerung in der von Handicaps und Krankheit geprägten Welt. Platzhalter dafür, dass einst allein das Leben triumphieren wird.

Ein Geschichte von der Heilung eines Taubstummen, die uns angesichts des Leids in der Welt – in unserem Leben wieder hör- und sprechfähig machen soll.

Denn „Heilwerden“ – das ist das letzte Wort.

Amen.

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