02/07/2024 0 Kommentare
Predigt zum 16. Sonntag nach TRINITATIS
Predigt zum 16. Sonntag nach TRINITATIS
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Predigt zum 16. Sonntag nach TRINITATIS
Liebe Leserin, lieber Leser!
Das qualvolle Sterben eines Kindes, eine Naturkatastrophe, die tausende Leben auslöscht, ein Völkermord, der den Atem nimmt – Gründe zum Zweifeln angesichts des Todes gibt es genug. Der 16. Sonntag nach Trinitatis stellt in seinen Texten das Angreifbarste und Wichtigste des christlichen Glaubens entgegen: Wir mögen hier und jetzt den Tod erleiden – durch Christus verliert der Tod seine Macht. Das geschah schon zu Jesu Lebzeiten, als er Menschen dem Tod abrang.
Einer dieser Texte steht geschrieben im Johannesevangelium. Lesen Sie dort gerne selbst: Johannes 11,1-45
Ich erzähle Ihnen jetzt diese dramatische Geschichte von Tod und Leben. Sie gehört zu diesem Sonntag, der deutlich machen will, dass Christus dem Tode die Macht genommen hat.
Aber erst einmal stirbt ein Mensch, und zwar Lazarus.
Das ist nicht irgendein Mensch, obwohl nur einmal, beim Evangelisten Johannes, von ihm erzählt wird.
Lazarus ist der Bruder von Maria und Marta, die wir kennen, weil Jesus wohl in
ihrem Haus mehrmals zu Gast war und sich dort gerne bewirten ließ.
Und besonders dramatisch ist, dass die Schwestern Jesus rufen und ihn bitten zu kommen, weil Lazarus krank ist.
Sie erhoffen sich Hilfe von Jesus, ihrem Freund.
Aber Jesus kommt nicht.
So beginnt die Geschichte vom Tod und vom Leben. Jesus lässt sich Zeit.
Als hätte man die angesichts des Todes.
Jesus plaudert lieber mit seinen Jüngern und sagt rätselhafte Sätze über das Kranksein – dieses dienen der Verherrlichung Gottes.
Zugleich wird immer wieder betont, Jesus habe die beiden Schwestern Maria und Marta und deren Bruder Lazarus lieb, und die Geschwister ihn.
Hier wird mit der Zeit und der Liebe gespielt, dass es einen fröstelt.
Zuletzt behauptet Jesus noch aus der Ferne, dass Lazarus nur schläft. Was nicht stimmt, denn kurz zuvor sagten alle Jünger: Lazarus ist gestorben.
Wenn Ihnen das jetzt alles ein wenig verworren klingt, dann ist das genauso.
Johannes erzählt wohl absichtlich etwas verworren – man könnte auch sagen: schillernd. Denn natürlich wäre der Freund Jesus sofort zu Lazarus gegangen und hätte gesehen, was er tun kann. Dass er das nicht tut, muss einen Grund haben.
Und der kommt jetzt.
Schließlich geht Jesus dann doch zu den Geschwistern und nimmt zur Kenntnis,
dass Lazarus schon vier Tage im Grab liegt. Marta geht Jesus entgegen und sagt ihm deutlich: „Wärest du hier gewesen, wäre er nicht gestorben. Was wirst du jetzt tun?“
Jesus sagt zu ihr: „Dein Bruder wird auferstehen.“ „Das weiß ich“, sagt Marta, „wir alle werden auferstehen.“
Man redet ein wenig aneinander vorbei, wie es scheint. Der Bruder ist tot, Marta ist traurig, Maria ist im Haus geblieben, und Jesus redet von der Auferstehung.
Das ist zu viel an Rätsel.
Aber gleich löst sich das Rätsel. Denn nun wird Jesus etwas energischer.
Man ahnt förmlich, dass es jetzt ernst wird. Jesus, stelle ich mir vor, will dem Durcheinander in den Gedanken und Gefühlen ein Ende machen, er schaut Marta an und sagt zu ihr: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.“
Dann, nach diesen Worten, wird es geradezu feierlich ernst. Jetzt geht es wirklich
um Leben und Tod. Jesus, stelle ich mir vor, nimmt Marta vorsichtig am Arm, schaut sie noch fester an und fragt sie eindringlich: „Glaubst du das?“
Die Frage wirkt Wunder. Denn Marta antwortet sofort: „Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommt.“
Wer glaubt, heißt das, kennt keinen Unterschied mehr zwischen Leben und Tod.
Gott ist alles.
Wir wissen vielleicht noch, wie diese Geschichte weitergeht. Wie gesagt, wenn Sie mögen, können Sie die auch nachlesen im Evangelium des Johannes im 11. Kapitel.
Es kommt nun Maria dazu, die Schwester der Marta, es gibt wieder leise Auseinandersetzungen, Vorwürfe an Jesus. Wäre er da gewesen, wäre das alles
nicht passiert.
Jesus „ergrimmt“ sogar kurz – aber dann hilft er. Er stellt sich vor das Grab des Lazarus und ruft mit lauter Stimme: „Komm heraus.“
Und Lazarus kommt.
Der Tote lebt wieder. Er lebt wie zum Beweis, dass der Glaube keinen Unterschied
mehr kennt zwischen Tod und Leben.
Gott ist alles. Er ist auf beiden Seiten, der des Lebens und der des Todes.
Was wir als Tod kennen, ist ein anderes Leben – bei Gott.
Die Geschichte von Jesus, Lazarus und den Schwestern Marta und Maria ist eine Demonstration der Macht: Gott kann. Wenn er will.
Er kann Kranke heil machen;
er kann Bittere fröhlich machen;
er kann Tote zum Leben erwecken;
er kann Einsame in eine Gemeinschaft zurückholen.
Gott kann.
Er kann alles.
Das wissen wir oder hören wir in dieser Geschichte. Es ist wichtig, dass wir es zunächst einmal wissen, einfach hören und wissen. Das Entscheidende kommt dann,
in der Mitte der Geschichte, als Jesus Marta ansieht und sie direkt fragt: „Glaubst du das?“ „Ja“, sagt Marta, obwohl sie dabei etwas zögerlich und verzagt wirkt; „ja, ich glaube das.“
Wir können nur glauben, was wir wissen. Und wir wissen nun (nach der Geschichte):
Gott kann.
Ich möchte es noch einmal anders sagen.
Mit einem Satz der österreichischen Schriftstellerin Ilse
Aichinger (1921–2016). Die erlitt das sogenannte Dritte Reich, in dem Familienmitglieder verschleppt und ermordet wurden. Sie erlitt den Tod ihres Mannes und ihres Sohnes.
Sie selber war 95 Jahre alt, als sie vor vier Jahren starb.
Sie schrieb Romane, Gedichte und manchmal nur kurze Sätze, auch über den Glauben, von dem Jesus hier spricht.
Ilse Aichinger schrieb in ihr Tagebuch:
Alles, woran man glaubt,
beginnt zu existieren.
Das ist schön; und es ist wahr. Nur was wir glauben, kann wirklich werden.
Darum sollten wir an das Rechte glauben.
In der langen, etwas wunderlichen und für unsere Ohren auch etwas verworrenen Erzählung von Lazarus geht es um den rechten Glauben.
Der heißt: Gott kann.
Gottes Möglichkeiten sind grenzenlos. Das sollen, das müssen wir wissen.
Darüber sollten wir staunen, uns wundern und von Herzen dankbar sein.
Vor allem aber sollten wir daran glauben, so fest wie möglich.
Denn „alles, woran man glaubt, beginnt zu existieren.“
Das heißt leider nicht, dass Gott alle unsere Wünsche erfüllt. Noch nicht einmal erfüllt er immer unsere größte Hoffnung. Er könnte es, aber oft will er es wohl nicht.
Wir wissen, dass Wunder geschehen und manchmal angeblich Unheilbare
doch wieder ins Leben zurückkehren.
Wir wissen auch und lesen davon, dass Menschen mit einer schweren Erkrankung oder Behinderung beeindruckend fröhlich leben.
Wir wissen aber auch, dass manchmal all dies nicht geschieht und Menschen sterben,
früh sterben, und dass andere verbittert in ihrem Sessel sitzen und nichts mehr hoffen.
Heute sagt uns Jesus: Gott kann. Und manchmal kann er etwas anderes, Überraschendes, Überwältigendes, wovon ich nicht zu träumen gewagt hatte
und deswegen auch nicht erbeten habe. Gott kann – sieh hin.
Seine Gnade, seine Güte, seine Möglichkeiten sind viel größer als mein Verstehen.
Manchmal zeigt Gott seine Größe auf eine Weise, die mich sprachlos macht.
Glaubt diese Größe Gottes! - und sie wird anfangen zu existieren. Euer Leben wird dadurch größer, reicher. Wer glaubt, wird sehen, erkennen.
Gott ist auf unserer Seite, wie er auf Jesu Seite war und blieb.
Gott stärkt die, die auf ihn hoffen.
Er stärkt nicht immer nach unseren Wünschen und unserem Willen.
Er stärkt auch nicht immer so, dass wir es sofort erkennen. Aber er stärkt.
Wer an Gottes Möglichkeiten glaubt, wird sie erkennen und erleben.
Gott bleibt auf unserer Seite, wie er auf Jesu Seite war und blieb.
Lassen wir uns doch leiten von Johannes: Wir hören zu und begeben uns in die Sphäre Jesu, folgen seinen Worten und Taten, sehen die Welt mit seinen Augen und spüren und merken und erfahren:
Gott stärkt die, die auf ihn hoffen. Seine Macht ist grenzenlos.
Und er wartet auch auf uns.
Der Tod ist eine Grenze – ja, unleugbar – und er ist keine letzte Grenze, er kann das Leben nicht zerstören.
Wir spüren und merken und erfahren: Das Leben steht uns offen! Wir dürfen leben!
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