02/07/2024 0 Kommentare
Predigt zum Erntedankfest
Predigt zum Erntedankfest
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Predigt zum Erntedankfest
Von Peter Andersen.
Liebe Leserinnen und Leser,
eine Geschichte aus dem 2. Buch Mose zum diesjährigen Erntedankfest:
2 Und es murrte die ganze Gemeinde der Israeliten wider Mose und Aaron in der Wüste. 3 Und sie sprachen: Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des Herrn Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen. Denn ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste, dass ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst. 11 Und der Herr sprach zu Mose: 12 Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt innewerden, dass ich, der Herr, euer Gott bin. 13 Und am Abend kamen Wachteln herauf und bedeckten das Lager. Und am Morgen lag Tau rings um das Lager. 14 Und als der Tau weg war, siehe, da lag’s in der Wüste rund und klein wie Reif auf der Erde. 15 Und als es die Israeliten sahen, sprachen sie untereinander: Man hu? Denn sie wussten nicht, was es war. Mose aber sprach zu ihnen: Es ist das Brot, das euch der Herr zu essen gegeben hat. 16Das ist’s aber, was der Herr geboten hat: Ein jeder sammle, soviel er zum Essen braucht, einen Krug voll für jeden nach der Zahl der Leute in seinem Zelte. 17 Und die Israeliten taten’s und sammelten, einer viel, der andere wenig. 18 Aber als man’s nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte.
Es ist eine voraussehbare Situation.
Das Volk Israel wurde in einer Nacht- und Nebelaktion aus der Sklaverei befreit. Da gab es keine Möglichkeiten, sich vorher für einen längeren Weg zu rüsten. Es war eben eine Flucht – nur das Nötigste konnte mitgenommen werden. So dass schon nach kurzer Zeit aller Proviant aufgebraucht worden war.
Das Murren ist da erst einmal nur verständlich: was ist besser...in der Wüste vor Hunger zu sterben...oder lieber doch zurück in den Sklavenstatus: denn da weiß „man“ ja, was man hat...auf jeden Fall keinen Hungertod. Dass in diesem Zusammenhang von den „Fleischtöpfen“ gesprochen wird, ist einem psychologischen Reflex zuzuschreiben: kommt man in eine vollkommen „bescheidene“ Situation...erscheint die davor, die nur wenig besser...aber dann doch ein wenig besser gewesen ist, meist in einem strahlenden Licht, das wenig mit der Realität gemein hat. Vieles ist im Leben relativ...und wird schnell verklärt.
Das, was also voraussehbar war, bedarf einer Lösung.
Wenn schon Gott sein Volk aus dem Sklavenhaus herausführt, dann kann ER es nicht in der Wüste zugrunde gehen lassen. Kurzum: ER versorgt es mit Essbaren.
So wie das dann erzählt wird, klingt es wie eine Wundergeschichte.
Aber worin besteht das Wunder?
In den Wachteln am Abend?
Geflügel – quasi mundgerecht serviert?
Oder das Manna?
Das „himmlische Brot", das Gott den Frauen und Männern vor die Füße legt - dass sie jeden Morgen einsammeln können?
Das ist schon wundersam!
Wobei das Manna als solches wenig mit Wunder zu tun hat: Ist doch das „Manna" nichts anderes als weißlich, süßlich schmeckende Kügelchen - sehr nahrhaft. Nichts anderes als das Produkt der kleinen Schildlaus. Auch noch heute kann man es in der Sinai-Wüste finden. Von daher: einfaches - man könnte fast sagen „einfaches, lausiges Brot". Auf keinem Fall ein Wunder.
Aber das ist nicht das eigentliche Wunder?
Das ist etwas anderes – nämlich, dass am Ende jeder soviel hat wie er oder sie zum Essen braucht.
Jenseits des Mangels und auch jenseits des Überflusses: alle haben das, was sie brauchen – zum Essen...zum Leben.
Es könnte ja auch ganz anders sein.
Mangelerfahrung – so lehrt uns die lange Menschheitsgeschichte bis auf den heutigen Tag – hat oft genug den Effekt, dass jeder nur an sich denkt. Mehr noch: den anderen nur als Bedrohung sieht...als jemanden, der mir „mein“ Essen wegessen könnte. Wenn die Angst da ist, nicht genug oder vielleicht nichts abzubekommen, denkt „der Mensch“ meist erst an sich selbst.
Wer von den Älteren hat das nicht erlebt...oder aus erster Hand erzählt bekommen...wie es bei Lebensmittelausgaben während oder nach dem Krieg zugehen konnte...oder wenn etwas Essbares gefunden worden war...
Und letztlich kennen wir doch alle die Bilder aus den Flüchtlingscamps unserer Zeit. Und wer einmal bei der Lebensmittelausgabe einer Tafel dabei gewesen ist, wird die spannungsgeladene Atmosphäre gespürt haben...vor allem die Sorge: „Ist dann noch genug für mich da?“.
Gerade auch angesichts der jahrzehntelangen Erfahrungen im Sklavenhaus Ägypten hätte es damals ganz anders sein können. Denn ein Kennzeichen von solchen Sklaven-Verhältnissen ist es über die Zeiten immer gewesen, z.B. über Nahrung das Abhängigkeitsverhältnis zu stabilisieren. Genug, damit niemand stirbt und dass die Arbeitsfähigkeit erhalten bleibt – aber viel zu wenig, so dass man von einer gerechten Zuteilung sprechen konnte.
Die Sklavenhalter aller Zeiten haben eben nicht darauf geachtet, ob jeder soviel bekam, wie er oder sie brauchte. Die Verteilung überließ man den Sklaven selber. Man setzte damit quasi auf die interne Hackordnung und auf die damit verbundenen Spannungen. Eine einfache und effektive Art, Menschen klein zu halten. Die zu Fleischtöpfen verklärten Essensausgaben in Ägypten waren niemals Lernorte für ein gerechtes Miteinander – vielmehr Herrschaftsinstrumente der Unterdrücker.
Umso wunderbarer, dass es in der biblischen Geschichte anders ist:
Und die Israeliten taten’s und sammelten, einer viel, der andere wenig. Aber als man’s nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte.
Jeder soviel er oder sie braucht. Damit wird der große Unterschied markiert: Gott setzt einen Rahmen, in dem jeder und jede die Chance hat, genug für sich zu haben. Und niemand fällt da raus.
Anders gedreht: es ist ein Rahmen, in dem gar nicht erst die individuelle Angst geweckt wird: „Ich könnte u.U. zu wenig oder gar nichts abbekommen...“.
Es ist ein Rahmen, in dem das Kollektiv - in dem alle – in dem Blick kommen. Gegenüber den Sklavenhalten instrumentalisiert Gott nicht die Nahrung, um Menschen klein zu halten. ER etabliert die Nahrung vielmehr als ein Lernfeld dafür, dass das Ziel hat: „Genug für alle“ – Teilhabe!
Ich sage ganz bewusst „Lernfeld“.
Es braucht diese Erfahrung, dass es keiner Ellenbogen bedarf...es braucht diese Erfahrung, dass sich eben gerade nicht diese Angst...diese Sorgen einstellt.
Dass somit der Blick frei wird...frei für andere.
Lernfeld!
Nicht nur hier...an vielen anderen Stellen des Alten wie auch des Neuen Testamentes – wie z.B. bei den Speisungsgeschichten – geht es um ein Einüben eines Miteinanders – in dem die Bedürfnisse aller in den Blick kommen und gewahrt werden..
Wir feiern heute Erntedank!
In einer Welt, in der unzählige Menschen – Kinder, Frauen und Männer – zu wenig zum Leben haben. Wie die Hilfsorganisation „Brot für die Welt“ es programmatisch im Namen hat: Dank an Gott kann nur damit Hand in Hand gehen, dass wir uns einsetzen, dass alle Brot haben – alle genug haben – niemand mehr hungern muss.
Und daher brauchen wir den Blick für die anderen – für die Bedürfnisse der anderen.
Ich schließe mit einer Geschichte, die da für sich selbst spricht:
Die Geschichte handelt von zwei Brüdern, die auf dem Hof ihres Vaters arbeiten. Als der stirbt teilen sie alles gerecht auf: sowohl die Arbeit als auch alle Ernteerträge. Als sie die erste gemeinsame Ernte eingefahren haben...die Kornsäcke untereinander gleich aufgeteilt haben, geschieht etwas.
In der Nacht wacht der eine Bruder auf.
Er kann nicht schlafen. „Ungerecht ist dies doch!“ so denkt er: „Ich habe die gleiche Menge wie mein Bruder: aber ich habe im Gegensatz zu ihm keine Familie. Er braucht doch viel mehr als ich, um die vielen Mäuler zu stopfen. Nein! Es ist nicht gerecht.“ Und er ging hin, holte aus seiner Scheune einige Säcke Korn, lud sie auf einen Wagen und brach auf, um sie mitten in der Nacht in die Scheune seines Bruder zu bringen.
Zur gleichen Zeit konnte nun aber auch sein Bruder nicht schlafen. Auch er kam mit der Aufteilung nicht zurecht. „So geht das doch nicht!“ sagte er: „Ich habe Familie im Gegensatz zu meinem Bruder. Wenn ich einmal alt bin, werden mich und meine Frau unsere Kinder mitversorgen. Doch mein Bruder ist allein. Er braucht doch viel mehr, damit er später etwas hat, wovon er leben kann.“
Und er ging hin, holte aus seiner Scheune einige Säcke Korn, lud sie auf einen Wagen und brach auf, um sie mitten in der Nacht in die Scheune seines Bruder zu bringen.
Auf halben Wege geschieht es, dass sich beide Brüder begegnen. Und als sie merken, was jeweils der andere vorhat, da fallen sie sich um den Hals.
Amen
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