02/07/2024 0 Kommentare
Predigt zum 20. Sonntag nach Trinitatis
Predigt zum 20. Sonntag nach Trinitatis
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Predigt zum 20. Sonntag nach Trinitatis
23 Und es begab sich, dass er am Sabbat durch die Kornfelder ging, und seine Jünger fingen an, während sie gingen, Ähren auszuraufen. 24 Und die Pharisäer sprachen zu ihm: Sieh doch! Warum tun deine Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist? 25 Und er sprach zu ihnen: Habt ihr nie gelesen, was David tat, da er Mangel hatte und ihn hungerte, ihn und die bei ihm waren: 26 wie er ging in das Haus Gottes zur Zeit des Hohenpriesters Abjatar und aß die Schaubrote, die niemand essen darf als die Priester, und gab sie auch denen, die bei ihm waren? 27 Und er sprach zu ihnen: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. 28 So ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat.
Liebe Leserin, lieber Leser,
Um es direkt vorwegzunehmen: Was dient dem Leben?
Das ist die Leitfrage dieser Erzählung.
Und diese Frage hat zwei Aspekte, die sich jeweils in der Reaktion der Pharisäer und in der von Jesus zeigen.
Da sind also die Pharisäer, die sehen, wie am Schabbat die Freunde Jesu Ähren raufen – sie beobachten wie die Jünger etwas tun, was am Schabbat eben gerade nicht sein soll: sie beschaffen sich – im Sinne einer Tätigkeit – Nahrung.
Und entsprechend stellen das die Pharisäer in Frage: Warum tun deine Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist?
Für uns mag das kleinkariert klingen.
Ist es aber nicht.
Es ist nachvollziehbar.
Warum?
Der Schabbat ist – gucken wir auf das Alte Testament – als Schutz für uns Menschen gedacht. Der siebte Tag, an dem Gott selber ruhte, soll uns Menschen als Tag dienen, an dem wir frei von aller Plage des Alltags sein können. Um aufzuatmen – um Zeit zu haben. Ein Tag, an dem der Mensch seine Seele baumeln lassen kann: wöchentlich gibt es einen Tag der Befreiung – einen Tag der Freiheit.
Im Alten Testament und auch in der späteren talmudischen Tradition ist klar, dass es am Schabbat Ausnahmen geben muss. Verletzt sich z.B. ein Mensch, ist ihm natürlich zu helfen. Dann muss mitangepackt werden – dann muss jemand diesen Menschen versorgen. Dann muss eben auch an diesem Tag ausnahmsweise gearbeitet werden.
Ist der Schabbat für den Menschen da, dann wäre es absurd, einen Menschen um des Gebotes Willen im Extremfall einfach sterben zu lassen.
Aber da kommt genau jetzt die knifflige Frage:
Wo ist es eindeutig klar, dass etwas auch am Schabbat erlaubt ist – mehr noch geboten… und wo greift die Weisung, etwas nicht zu tun?
Anders formuliert: wo beginnt eine Sollbruchstelle – wo fängt man an, diese das Leben schützende Weisung aufzuweichen?
Die Pharisäer sind in dieser Erzählung die Anwälte des Schabbatgebotes und sie sehen die Freunde Jesu, dass sie etwas tun, was sie eigentlich nicht tun sollten. Und daher intervenieren sie.
Das ist legitim und hat nichts mit Kleinkariertheit zu tun.
Wir leben in einer Zeit/in einer gesellschaftlichen Situation, in der alle Grenzen verschwommen sind. Nicht allein durch das Internet, durch das die virtuellen Geschäfte an 7 Tagen in der Woche 24 Stunden lang aufhaben. Ich erinnere mich an Zeiten in den 90er Jahren, wo – noch vor den verkaufsoffenen Sonntagen – die Debatte vorherrschte, ob Bäckereien Sonntagsmorgens öffnen dürften. Es war letztlich eine schrittweise Entwicklung, wo an der einen und dann an der anderen Stelle – schleichend aber bestimmt – immer mehr der Sonntag zu einem fast normalen Wochentag mutierte. Und allein die aktuelle Diskussion um eine Erhöhung der verkaufsoffenen Sonntage macht unseren Predigttext mehr als aktuell.
Es gibt ja eine Unzahl von Argumenten, die die Öffnung des Sonntags nahelegen. Trotzdem: ist es aber auch gut? Gut für uns Menschen? Ohne Unterbrechung, im Dauermodus zu existieren?
Das penible Einhalten des Schabbatgebotes ist eben genau dieser Erfahrung geschuldet, dass eine so wichtige Weisung aufgeweicht werden kann. Und es fängt meist im Kleinen an.
Jesus nimmt nun die Intervention der Pharisäer auf - im Sinne einer theologischen Diskussion. Jesus erinnert die Fragenden an eine Geschichte, die auf den ersten Blick nichts mit dem Schabbatgebot zu tun hat – die aber eine andere anscheinende Übertretung einer anderen Weisung darstellt: der König David hatte an seine hungernden Mitstreiter Brot verteilt, das ausschließlich für den kultischen Gebrauch bestimmt war. Mit diesen Verweis erklärt Jesus so das Handeln seiner hungrigen Freunde. Wären diese gut gesättigt am Feld entlang gegangen, hätten sie nichts sammeln dürfen – und auch Jesus hätte es ihnen nicht erlaubt. Aber sie waren ausgehungert.
In dieser Erinnerung bringt Jesus genau die vorn mir benannte Leifrage ins Gespräch: Was dient dem Leben?
Der Konsens zwischen Jesus und den Pharisäern war, dass die Gebote dem Leben dienen sollen. Und: es kann immer wieder Situationen geben, in denen deutlich wird, dass jetzt – eben in einer bestimmten Situation – die Befolgung eines Gebotes kontraproduktiv ist.
Aber wann ist ein Gebot unter Umständen kontraproduktiv?
Das muss immer wieder neu diskutiert und ausgehandelt werden.
Im jüdischen Verständnis ist das Halacha.
Immer wieder durchzubuchstabieren, was in der einen oder anderen Situation geboten ist: nüchtern – kritisch – das Leben liebend.
Und dabei geht es dann nicht, ein Gebot wie das Schabbatgebot als solches auszuhebeln oder in Frage zu stellen – es geht dabei vielmehr darum, dieses Gebot in seiner Lebensfreundlichkeit und Lebensförderung zu bewahren.
In diesem Sinne haben beide – Pharisäer und Jesus – Recht!
Was dient dem Leben?
Diese Leitfrage ist für uns heute extrem wichtig. Gerade da, wo wir uns in einer Pandemie befinden und wo wir auf einmal mit Anordnungen konfrontiert sind, die unser Leben mitbestimmen.
Dieser alte Text hilft uns zum einem, Anordnungen, Gebote, Weisungen in einem bestimmten Licht zu sehen: dass sie ihren Sinn dann haben, wenn sie eben dem Leben dienen.
Dieser alte Text kann uns mit diesen beiden Seiten, die da zum Ausdruck kommen, ein Gespür dafür geben, wenn es um Regeln geht.
So kann ja auch ein Mehr an Geboten im wahrsten Sinne „geboten“ sein, weil es eine Lebenssituation erfordert, weil nur so Leben zu bewahren ist.
Was dient dem Leben?
Ein Mund-Nasen-Schutz? Für die einen eine Plage und eine Einschränkung – für die anderen eine erträgliche Zumutung.
Was dient dem Leben?
Und auch andere Einschränkungen unterschiedlicher Art für unseren Alltag: angefangen von Kontaktbeschränkungen bis hin zu Quarantänebestimmungen.
Für die einen eine Beschneidung ihrer Persönlichkeitsrechte und für die anderen hinnehmbare Bestimmungen.
Was dient dem Leben?
Diese Frage weitet letztlich den Blickwinkel. Es verhilft uns, über den Tellerrand der eigenen Bedürfnisse oder Wünsche auch die Bedürfnisse und Notwendigkeiten der anderen in den Blick zu bekommen. Denn mein persönliches Handeln hat immer auch Auswirkungen für andere – ob ich es wahrhaben will oder nicht.
Was dient dem Leben?
Diese Frage gilt es auch heute zu stellen.
Amen.
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