Predigt zum Sonntag Estomihi

Predigt zum Sonntag Estomihi

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Predigt zum Sonntag Estomihi

Propheten leben gefährlich. Sie sind unbequem, denn es gehört zu ihrem Auftrag, den Menschen die Wahrheit zu sagen. Nicht nur ihre Meinung, sondern die Wahrheit, die sie von Gott her gehört und verstanden haben. Da wird dann unweigerlich auch Klartext gesprochen. Wo es um die Wahrheit geht, geht es selten ohne die Konfrontation der Mächtigen ab.

Das ist heute auch so. Denken Sie nur an Oppositionspolitiker in autoritären Staaten oder an Reporter, die Machmissbrauch aufdecken.

Es schwingt etwas Prophetisches mit in ihrem Tun.

Die Worte des Propheten wirken immer dann besonders gut, wenn sie einen aktuellen Missstand benennen und gleichzeitig auf etwas Grundsätzliches hinweisen.

Bei Jesaja ist das so. 

Rufe laut, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden! Sie suchen mich täglich und wollen gerne meine Wege wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie wollen, dass Gott ihnen nahe sei. »Warum fasten wir und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib und du willst’s nicht wissen?«

Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll. Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit oder seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der Herr Wohlgefallen hat?

Ist nicht das ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! Heißt das nicht: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen und der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich. (Jes 58,1-9a; Lutherbibel 2017)

Jesaja kritisiert die Fastenpraxis der Gläubigen in Israel zu seiner Zeit. Der Vorwurf lautet: Ihr fastet und tut nach außen hin so, als wäret ihr fromm. Gleichzeitig aber verstoßt ihr durch euer Handeln gegen elementare Gebote Gottes und zeigt damit, dass ihr in Wahrheit eben nicht gottesfürchtig, sondern schlicht und ergreifend ungerecht seid.

Konkret: „An dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter.“ Wer andere ausbeutet und dabei fromm tut, ist ein Heuchler. Soweit ist die Botschaft des Jesaja leicht nachvollziehbar. Sie klingt fast ein wenig klischeehaft, wie ein gängiges Vorurteil nicht nur gegen das Fasten, sondern gegen jede Form der Frömmigkeit.

Ist Frömmigkeit also nur oder vor allem eine Form der Selbstüberhöhung? 

Es lohnt sich genau hinzuschauen, denn eine besondere Pointe der Kritik des Jesaja liegt darin: „Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll.“ Damit sagt er: Es geht gar nicht in erster Linie um eure Glaubwürdigkeit vor den Menschen, sondern es geht um euer Verhältnis zu Gott. Es geht darum, ob Gott euch hört. Und es geht auch darum, ob ihr etwas wahrnehmen könnt von Gott, solange eure Frömmigkeit und euer Handeln so sehr im Widerspruch zueinander stehen, wie sie das tun.

Wo ist Gott? Von dieser Frage sind auch heute viele Menschen bewegt. Längst nicht mehr alle stellen diese Frage im Raum der Kirche. Religion und Spiritualität, die Frage nach Gott sind kein Monopol der Kirchen mehr, sind es vielleicht nie gewesen. Es gibt Menschen, die ganz und gar ohne die Frage nach Gott und ohne Religion durchs Leben gehen. Offensichtlich ist das möglich.

Zugleich gibt es eine immer größer werdende religiöse Szene außerhalb der Kirchen. Menschen suchen den Sinn des Lebens, den Kontakt zu einer höheren Macht, suchen Gott, was auch immer sie darunter verstehen.

Diese Suche nach Gott hat viele Formen und kennt viele Wege. Es ist schlechterdings unmöglich, sie alle im Blick zu haben.

Dennoch ist es möglich und wichtig, Unterscheidungen zu treffen.

Denn Gott, wie die Bibel ihn versteht, ist nicht einfach ein Gegenstand unserer Welt wie andere. Wir können Erfahrungen mit Gott nicht aus der unbeteiligten Beobachterperspektive machen. Das ist anders als bei wissenschaftlichen Versuchsanordnungen. Gott ist größer als unsere Experimente.

Gott ist aber auch größer als unsere Frömmigkeit.

Und natürlich auch größer als die vielfältigen spirituellen Wege der Gegenwart.

Keine Religion kann abbilden, wer Gott ist. Geschweige denn kann Religion Gott in den Griff kriegen oder in irgendeiner Weise manipulieren.

Erfahrungen mit Gott sind aber dennoch möglich.

Erfahrungen mit Gott sind möglich aus der Teilnehmerperspektive.

Wir können Gott nicht begreifen, aber uns von ihm ergreifen lassen.

Wer dies tut, der bleibt nicht derselbe, sondern wird sich verändern.

Wer sich darauf einlässt, der spürt: Glaube, Frömmigkeit, das sind keine Instrumente, mit denen ich Gott beeinflussen oder auch nur mein Leben besser in den Griff bekomme.

Es ist vielmehr ein Weg, den ich gehe.

Ein Weg, auf dem sich im Gehen mein Leben erneuert.

Diese Erneuerung des Lebens hat mindestens zwei Seiten.

Sie hat eine kontemplative Seite. Es geht darum, sich für Gottes Gegenwart zu öffnen, für sein Wort und sein Wirken in der Welt.

Und dann gibt es da aber auch eine aktive Seite. Es geht darum, in dieses Wirken Gottes in der Welt einzustimmen. Es geht ums Mitmachen:

„Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus!“

Die Kirchen tun das in diesen kalten Tagen an verschiedenen Orten im wortwörtlichen Sinne. Die Marktkirche in Hannover hat Obdachlosen einen roten Teppich in der Kirche ausgerollt, damit sie in ihr übernachten können. Ebenso ist die Bergerkirche in der Düsseldorfer Altstadt geöffnet für Wohnungslose, die sich tagsüber dort aufwärmen können.

Solches Tun hat eine große Verheißung. Es geht darum, denen zu helfen, die Hilfe brauchen. Und es geht darum, dass Gott sich denen zeigt, die sich von ihm rufen lassen und solches tun.

„Dann wirst du rufen und der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.“


Gebet

Gott, unser himmlischer Vater,

Du hast uns gerufen, und hier sind wir:

Danke für Dein Wort und Deine Weisung.

 

Wir bitten dich für alle Menschen,

die Unrecht und Gewalt beim Namen nennen.

Stärke sie in ihrem Kampf.

Schärfe unser aller Gewissen für Recht und Wahrheit.

 

Wir bitten dich für alle Menschen,

die in diesen Tagen Kälte und Hunger ausgesetzt sind,

ob hier bei uns oder in den Flüchtlingslagern.

Behüte sie und lass sie einen Ort zum Leben finden.

Zeige uns, was wir tun können, um die Not unserer Nächsten zu lindern.

 

Wir bitten dich für alle Kranken und Sterbenden,

die am Ende ihrer Kräfte, am Ende ihres Lebens angekommen sind.

Zeige dich ihnen, nimm sie an der Hand,

damit sie getrost und hoffnungsvoll sind im Leben und im Sterben.

 

„Komm in unser festes Haus, der du nackt und ungeborgen.

Mach ein leichtes Zelt daraus, das uns deckt kaum bis zum Morgen;

denn wer sicher wohnt, vergisst, dass er auf dem Weg noch ist.“ (EG 428, 4)

Amen.

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