Predigt zum Sonntag Invocavit

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Predigt zum Sonntag Invocavit

Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde. Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben: "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht." Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben: "Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt." Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen." Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! denn es steht geschrieben: "Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen." Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm. (Matthäus 4,1-11)

Liebe Leserin, lieber Leser,

das ist die Geschichte von der „Versuchung Jesu“ und Versuchung hört sich immer „groß“ an. 

Aber was ist überhaupt Versuchung?

Dieser Frage möchte ich in meiner Predigt nachgehen.

Gucken wir uns die – genau genommen – drei Versuchungen an, von denen Matthäus erzählt.

Drei Versuchungen, die alle drei – wie wir sehen werden – auf der Klaviatur menschlicher Bedürfnisse spielen:

1.

Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.

Wir Menschen sind Mangelwesen. 

Von Natur aus. Wir stehen immer in der Gefahr, zu wenig zum Leben zu haben: vor allem zum Essen und zu Trinken. Und nicht umsonst heißt es im Vaterunser „...unser täglich Brot gib uns heute...“. Das Brot als Synonym für das, was wir als Menschen zum Leben brauchen.

Und auch wenn wir derzeit in Verhältnissen hier leben, in denen ein Mangel so erst einmal gar nicht auf den Blick sichtbar ist, so sollten wir uns da nichts vormachen. Sonst bräuchten wir keine Tafeln oder Hilfsorganisationen wie „Brot für die Welt“.

Doch was ist nun das Verführerische in der Aufforderung, aus Steinen Brote zu machen?

Auf den ersten Blick ist das Verführerische sicherlich, dass nach 40 Tagen des Fastens Jesus  – angeschlagen durch all die Entbehrungen – besonders ansprechbar erscheint.

Aber das ist nicht der eigentliche Punkt. Auch nicht, dass Jesus vielleicht so seine Qualitäten als Messias zur Schau hätte stellen können. 

Das wahrhaft Teuflische dieser Versuchung liegt woanders.

Der Schlüssel dazu liegt in der Antwort Jesu: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.

Ein Zitat aus der Tora. Und auf den ersten Blick eine merkwürdige Reaktion.

Das Wort dem Brot vorziehend! Warum?

Das Problem damals – wie auch heute – bestand nicht darin, dass zu wenig Brot da war – das Problem bestand darin, dass es nicht richtig verteilt worden war: die einen zu viel – die anderen [meist die Mehrheit] zu wenig: ein Thema, dass in den vielen Brotgeschichten der biblischen Schriften – alten und neuen Testamentes – immer wieder durchbuchstabiert wird. 

Mangel aufgrund eines Verteilungsproblems.

Damals wie heute.

Und so wäre die – auf den ersten Blick – tolle Tat, Stein in Brot zu verwandeln, nichts anderes gewesen, als über diesen Umstand hinwegzutäuschen. Hinwegzutäuschen über den Skandal eines Missverhältnisses im Zugang zu Nahrungsquellen. Es wäre eine Stabilisierung einer ungerechten Situation.

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.

Das ist Verweigerung um einer gerechten Verteilung Willen. 

Jesus will Gerechtigkeit – so wie es von den Wörtern, die aus Gottes Mund ausgehen – der Tora – gefordert wird.

Das Wort sagt: Gerechtigkeit allen.

Und da will Jesus kein Büttel eines Systems der Ungerechtigkeit sein.

Von der Ungerechtigkeit will er sich nicht korrumpieren lassen.

2.

Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben: "Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt."

Hier geht es um das Bedürfnis nach Sicherheit…dem Bedürfnis, getragen zu sein…

Sicherheit!

Etwas, was uns allen vertraut ist. Gerade jetzt angesichts dieser Pandemie.

Wo eine uns Schweiß auf die Stirn treibende Frage ist, was noch trägt.

Auch hier wieder Frage: worin liegt das Verführerische?

Hinter der Versuchung Jesu steht letztlich Frage, ob für das Bedürfnis nach Sicherheit jedes Mittel Recht ist. 

Etwas zu tun, damit man für sich auch zu spüren bekommt, dass da Halt ist…dass man getragen wird?

Und dabei quasi das System auszureizen, um Selbstvergewisserung zu bekommen: bildhaft bei Jesus: im Sprung in die Tiefe.

Für uns heute mehr den je eine höchst aktuelle Frage: 

Welchen Preis sind wir bereit zu zahlen – für unsere Sicherheit?

Wohin lassen wir uns fallen, um die zu spüren?

Was fordern wir heraus?

Sicherheit, die in ihrer Absolutheit eine Illusion ist…

Weil es absolute Sicherheit nicht gibt…auch nicht vor einem Virus.

Daher: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen."

Antwortet Jesus.

Knapp – nüchtern: in Erinnerung rufend, dass sich niemand einbilden solle, er oder sie könne absolute Absicherung produzieren können.

Was uns trägt…was uns hält: das ist allein Gottes Versprechen, bei uns zu sein – alle Tage. Und sonst gar nichts. 

Und das – dieses Versprechen – muss genügen.

3.  

Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.

Schließlich wird auch das Bedürfnis nach Macht angerührt. 

Da wissen wir am klarsten, da in der Macht eine Versuchung per se steckt.

Und als Mitglieder einer Kirche, deren Einfluss in dieser Gesellschaft, dieser Stadt mehr und mehr schwindet, sind wir gerade auch hier direkt betroffen. 

Generell auch hier reicht diese Frage vom persönlichen Bereich bis hin zum großen politischen. 

Schrecklich ist das Gefühl, ohne Macht zu sein – übersehen, ignoriert zu werden. 

Wichtig sein wollen – dabei zu sein – das ist es doch, was wir möchten. 

Wie groß ist da die Versuchung, alles Mögliche zu veranstalten, um das zu verändern: sich anzubiedern…den sogenannten „Zeitgeist“ zu bedienen, um auf der Oberfläche mitschwimmen zu können.

Wir Menschen sind bei der Frage der Macht am Anfälligsten.

Auf der politischen Bühne ist das ein Dauerthema.

Was wird da nicht alles über Bord geworfen…?

Prinzipien, Grundwerte…die eigene Seele?

Mit der Folge, dass wir uns versklaven…und wenn es nur die Angst ist, Macht/Einfluss wieder zu verlieren.

Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.

So sagt es abschließend Jesus.

Denn: Macht ist ein Fetisch.

Das erste Gebot: dass allein Gott „Gott“ ist – das soll als Korrektiv dienen.

Um uns zu vor einer Gefangenschaft unserer selbst zu schützen.

Denn Freiheit sollen wir uns bewahren, um das entscheiden und tun zu könne, was Not tut für unsere Welt. Und da wären wir u.a. wieder bei der Gerechtigkeit

Auf diesem Hintergrund ist dieser Text aus dem Matthäusevangelium nicht einfach nur eine Erzählung von der Versuchung Jesu.

Letztlich ist er ein Text über die Versuchbarkeit von uns Menschen.

Wir können uns da wunderbar wiederfinden.

Das Entscheidende: wo wir uns immer wieder als korrumpierbare Wesen auszeichnen...als Menschen, die den Versuchungen erliegen...erliegen können, da hören wir – zu Beginn der Passionszeit –, dass Einer widerstanden hat. 

Stellvertretend – wie er alles stellvertretend getan hat.

Uns zum Wohle.

Uns zur Ermutigung.

 

Und dafür können wir dankbar sein.

Amen.

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