Predigt zum Sonntag Reminiszere

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Predigt zum Sonntag Reminiszere

Von Elisabeth Schwab.  

Jesaja 5,1-7

1 Wohlan, ich will von meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg. Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe. 2 Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte. 3 Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg! 4 Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte? 5 Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er kahl gefressen werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde. 6 Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen. 7 Des HERRN Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit. (Lutherbibel 2017)

 

Es ist immer das gleiche Bild. Am Ende eines langen Abenteuers wird ausgelassen gefeiert in dem gallischen Dorf. Ein Wildschwein wird gebraten, es fließt reichlich Cervisia, das Feuer brennt. Nur einer darf da nicht mitmachen. Troubadix, der Barde, der so gern gesungen hätte. Wie immer wird er gefesselt und geknebelt, bevor er auch nur daran denken kann zu singen. Dazu die Worte: „Nein, du wirst nicht singen!“ Troubadix, er nervt seine Mitbewohner mit seinen Liedern, denn sie halten ihn nicht für sehr begabt und wollen ihre Ruhe vor ihm haben. So ist es wie immer: das Dorf feiert, während der Barde abseits liegt und seinen Mund nicht aufmachen darf.

Vielleicht hätten die Menschen in Jerusalem vor über 2700 Jahren das auch gerne mit Jesaja gemacht. Ihn einfach gefesselt und geknebelt, um nicht zu hören, was er singt. Sie hatten wohl keine Ahnung, wie sehr sie sein Lied treffen würde, als er anfing zu singen. Jesaja, der Prophet, war kein Sänger. Ins Herz getroffen hat er die Menschen trotzdem.

Mitten im Getümmel eines Herbstfestes in Jerusalem trat Jesaja hervor mit seinem Lied. Im ausgelassenen Treiben der Menschen, die die Ernte feierten. Das war eine willkommene Abwechslung, zumal Jesaja ein Liebeslied ankündigte. Keiner kam auf die Idee, ihm den Mund zu verbieten. So fing Jesaja an vom Weinberg zu singen. Wer damals von einem Weinberg sang, der meinte damit die Geliebte. So wuchs die Spannung unter den Zuhörern, als Jesaja sein Weinberglieds begann, dem heutigen Predigttext:

"Wohlan ich will meinem Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg. Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe. Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte ...“

Ein wunderbares Liebeslied, das Jesaja da singt. Voller Hoffnung und Hingabe arbeitet sein Freund an dem Weinberg. Liebevoll gräbt er um, sucht die Steine auf und pflanzt die besten Reben. Wir können uns denken, wie viel Arbeit das in einem kargen Land gemacht hat!

Alles ist fertig für die Ernte, der Wachturm, in dem die Erntearbeiter übernachten ist gebaut, eine Kelter gegraben. Jeder, der damals zugehört hat und der das heute hört, wird sagen: "Mehr kann man nach menschlichem Ermessen nicht tun, um eine gute Ernte zu haben."

Alles getan für eine gute Beziehung zu dem oder der Geliebten. Die eigenen Möglichkeiten ausgeschöpft, sich auf den anderen eingelassen, alles getan, damit es ihm oder ihr gut geht. Nun kann sich etwas entwickeln. Was zu tun war, ist getan.

Jedoch:  Ohne jeden erkennbaren Grund bleibt der Weinberg unfruchtbar, bleibt all die Arbeit ohne Antwort, bleibt die Hingabe ohne Lohn. So kurz und knapp das in dem Lied beschrieben wird, so viel Enttäuschung liegt in den Worten!

Manche Zuhörer werden schon geahnt haben: dieses Lied wird unbequem. Alles führt auf einen Weg der Ernte. Und dann so etwas. Statt Liebe Gleichgültigkeit, statt liebevoller Antwort ein böser Blick, statt die ausgestreckte Hand zu ergreifen folgt die Kriegserklärung. Wie aus heiterem Himmel dreht sich die Stimmung.

Jesaja singt weiter: "Nun richtet ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg! Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte?"

Ein Liebeslied hätte das werden sollen – aber es ist das Lied einer enttäuschten Liebe daraus geworden. Ja, es ist die Geschichte einer unglücklichen Liebe. Denn um glücklich zu sein, müssten beide Seiten die Beziehung wollen und pflegen.

Beide Seiten gleichzeitig – so sollte ich sagen. Denn es gibt ja auch dieses ungleichzeitige Hin und Her. Ich werde umworben und schicke den anderen weg. Und kaum ist er gegangen, hat mich verlassen – endgültig verlassen, wie es scheint – da merke ich, was mir fehlt, flehe ihn an, zurückzukommen.

Hier jedenfalls, hier hat der eine genug. Immer nur einseitig, so kann das nicht weitergehen:

Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er kahl gefressen werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde.

Er steht nicht länger unter meinem Schutz, mein Weinberg – ich überlasse ihn den Tieren. 

Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen.

Ich höre auf, in diesem Weinberg zu arbeiten, ich mache mir keine Mühe mehr mit ihm. Das Unkraut hat freie Bahn, es wird ersticken, was die Tiere übriggelassen haben. Und sollte noch irgendetwas wachsen wollen, so wird es verdorren – ich entziehe meinem Weinberg auch das Wasser.

Aber noch immer redet der verschmähte, der enttäuschte Liebhaber von seinem Weinberg – habt ihr das gehört! Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will!

Die Deutung des Liedes, die lässt keine Fragen offen:

Des HERRN Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.

Wer der Weinberg ist und wer der Freund, das war schon längst klar. Hier wird nun auch der Vorwurf klar ausgesprochen:

Gute, edle Früchte, das sind Recht und Gerechtigkeit. Frucht bringen, das heißt: Nach Gottes Regeln und Geboten handeln. Verantwortung übernehmen füreinander. So wie Gott es uns vormacht.

Aber jetzt scheint es dafür erst einmal zu spät zu sein. Mauer und Schutzzaun sind eingerissen, Tiere und Dornen tun ihr Zerstörungswerk.  

An verschiedene Zeiten in der Geschichte Gottes mit seinem Volk könnte man da denken. An die Zerstörung Jerusalems und die Babylonische Gefangenschaft zum Beispiel.

Jedenfalls klingt die eine Seite sehr endgültig – Abbruch aller Bemühungen um den anderen, Vernachlässigung und Missachtung.

Aber die Liebesgeschichte geht weiter und durchzieht die ganze Bibel!

Da meldet sich die Freundin, der Weinberg zu Wort. Ich lese in Psalm 80:

Du hast einen Weinstock aus Ägypten geholt, hast vertrieben die Völker und ihn eingepflanzt. ... Warum hast du denn seine Mauer zerbrochen, dass jeder seine Früchte abreißt, der vorübergeht? Es haben ihn zerwühlt die wilden Säue und die Tiere des Feldes ihn abgeweidet.  Gott Zebaoth, wende dich doch! Schaue vom Himmel und sieh darein, nimm dich dieses Weinstocks an!

Ja, so sind wir Menschen – manchmal brauchen wir offensichtlich solche Klarheit und Eindeutigkeit von Gott. Ein: „So geht es nicht weiter!“

Aber wenn die Misere da ist, wenn wir uns vorkommen wie die verschmähte, geschmähte Geliebte – durchaus zu Recht verschmäht, auch das wissen wir manchmal ganz genau – wenn der liebe Freund sich abgewendet hat, dann gibt es nur noch eines: Zu ihm rufen, ihn anflehen:

Gott Zebaoth, wende dich doch! Schaue vom Himmel und sieh darein, nimm dich dieses Weinstocks an! ... So wollen wir nicht von dir weichen. Lass uns leben, so wollen wir deinen Namen anrufen.

Oder in wie Psalm 25, 6: Gedenke, HERR, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte, die von Ewigkeit her gewesen sind.  Psalm 25,6

Gerade die Psalmen machen uns das vor, geben uns Worte, so zu unserem Gott zu rufen, uns ihm immer wieder von neuem zuzuwenden, auch gerade dann, wenn wir uns von ihm verlassen fühlen: Lass uns leben, so wollen wir deinen Namen anrufen.

Eine Liebesgeschichte, eine nicht endende, oft unglückliche Liebesgeschichte.

Und zugleich ein göttlicher Liebhaber, der sich seinen geliebten Menschen dann doch immer wieder zuwendet.

Wir können auch das Sonntagsevangelium Johannes 3,14-21 als Kapitel dieser Geschichte hören: Es ist ja hineingewoben in die ganze lange Liebesgeschichte Gottes mit seinem Volk und seinen Menschen. An die Wüstenwanderung der Israeliten wird da erinnert. Auch damals schon gab es Liebe und Enttäuschung und Strafe und Erbarmen. Das Volk bekam das ewige Manna satt, Gott schickte Schlangen zur Strafe – und dann das Heilmittel dagegen: Die Eherne Schlange, auf die das Volk seinen Blick richten sollte.

Wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.

Das Kommen des Menschensohnes – Jesus Christus – als ein Kapitel der Liebesgeschichte. Seine Erhöhung, damit meint Johannes seine Kreuzigung. Ein Heilmittel gegen alle Strafen, die wir verdient hätten, weil wir uns von unserem Liebhaber abgewendet haben: Schaut auf Jesus Christus, auf alles, was er für euch getan hat.

Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

Gott fällt sich selbst in den Arm. Seine Barmherzigkeit und Güte, die von Ewigkeit her gewesen sind, die sind stärker als sein Zorn und seine Enttäuschung. Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.

Lieber soll Christus sein Leben hingeben, als dass die Menschen, dass die ganze Welt das bekommt, was sie verdient.

Zum Schluss ein fernes Kapitel dieser Geschichte. Ein Remake des Liedes aus Jesaja 5, eine veränderte, verbesserte Neufassung. Sie zeigt uns deutlich: Das Volk Israel ist immer noch und bis in Ewigkeit Teil dieser Geschichte. Und diesmal ist es tatsächlich ein Liebeslied, das Jesaja  überliefert hat (Jesaja 27,2-4), auch wenn es noch auf seine Aufführung wartet:

Zu der Zeit wird es heißen: Lieblicher Weinberg, singet von ihm! Ich, der HERR, behüte ihn und begieße ihn immer wieder. Damit man ihn nicht verderbe, will ich ihn Tag und Nacht behüten. Ich zürne nicht. Sollten aber Disteln und Dornen aufschießen, so wollte ich über sie herfallen und sie alle miteinander anstecken.

 

Es ist gut, auf die Lieder zu hören, die uns gesungen werden, auch die kritischen, die uns Hörenden den Spiegel schmerzhaft vorhalten. Wir sollten die Sänger nicht vorschnell mundtot machen. Wir brauchen die unbequeme Botschaft, damit diese Welt und auch wir uns ändern können. Dafür ist es nicht zu spät.

Das erfahren wir eben auch in dieser Liebesgeschichte: Jesaja und Johannes geben uns die Hoffnung, dass sie am Ende für Israel und für uns alle gut ausgeht.

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