Predigt zum 4. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 4. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zum 4. Sonntag nach Trinitatis

# Predigten

Predigt zum 4. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Leserin, lieber Leser,

Damit gleich der Predigttext richtig eingeordnet werden kann, erinnere ich an die Vorgeschichte:

Joseph ist - als einer von elf Söhnen Jakobs - der Liebling seines Vaters. Etwas, was seine Brüder gar nicht abkönnen. Eines Tages, als sie weit draußen bei den Schafen sind, ist das Fass zum Überlaufen gebracht. Wollen sie Joseph erst töten, verkaufen sie ihn kurzerhand als Sklave an eine Karavane nach Ägypten. Vom geliebten Sohn zum entrechteten Sklaven: so fristet Joseph sein Dasein erst als Leibeigener eines reichen Ägypters und dann - als Opfer einer Intrige - als Gefangener im Kerker. Dort bleibt er lange Zeit bis ihn seine Gabe, Träume zu deuten, vor den Pharao bringt. Und da er allein in der Lage ist, die Träume des Pharaos als Ankündigung einer siebenjährigen Dürre zu erkennen, und da er auch noch den Pharao beraten kann, wie man der drohenden Hungerkatastrophe durch kluges Haushalten begegnen kann, steigt er zur rechten Hand des Herrschers auf.

An dieser Stelle kommen nun Josephs Brüder wieder in´s Spiel: da auch sie von der Dürre betroffen sind, werden sie von ihrem Vater Jakob nach Ägypten geschickt, um Korn zu kaufen. Und da landen sie vor dem Thron ihres Bruders. Doch sie erkennen ihn nicht. Ganz anders Joseph: er weiß, wen er vor sich hat - doch er gibt sein Wissen nicht preis. Er kann sie vielmehr dazu überreden, beim nächsten Kornkauf ihren jüngsten Bruder Benjamin mitzubringen. Und als der dann beim zweiten Mal mit nach Ägypten reist, lässt Joseph in dessen Kornsack einen kostbaren Kelch schmuggeln. Angst jagt er seinen Brüdern ein, als sie - kurz nach ihrem Aufbruch in die Heimat - des Diebstahls bezichtigt werden. Eine Angst, die sich dann aber verflüchtigt, als sich Joseph zu erkennen gibt und ihnen die Hand reicht. Und nicht nur das: er fordert sie auf, in die Heimat zurückzukehren und den geliebten Vater und ihre Familien zu holen, um bei ihm zu leben.

Und dann – eines Tages – stirbt der Vater.

Und hier der eigentliche Predigttext:

Die Brüder Josefs aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben. Darum ließen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters! Aber Josef weinte, als sie solches zu ihm sagten. Und seine Brüder gingen hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe, wir sind deine Knechte. Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes Statt? Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. Fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.

Der Vater ist tot und die Brüder fürchten, dass jetzt einer Rache des Josephs nichts mehr im Wege steht. Und doch kommt es ganz anders: am Ende steht nicht Rache, sondern Vergebung. 

Wie ist das möglich? Oder besser gefragt: was hat das möglich gemacht?

An dieser biblischen Erzählung sind einige Einsichten im Blick auf den Zusammenhang von Schuld und Vergebung abzulesen – speziell im gesellschaftlich/politischen…aber auch im privaten Kontext.

Vier Einsichten möchte ich benennen:

1. Die erste Einsicht: Es kommt darauf an, wie über Schuld geredet wird.

Angesichts unseres Erfahrungshorizontes gibt es bekanntermaßen verschiedene Spielarten, mit Schuld umzugehen: 

Die häufigste ist wohl die, dass Schuld und somit die Verantwortung für begangenes Unrecht gar nicht erst übernommen wird. Oder Schuld wird kleingeredet… oder gar als notwendig verkauft.

Umso interessanter ist es, dass in unserem Predigttext ganz nüchtern die Schuld angesprochen wird: „...vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde...“ oder „…vergib doch die Missetat uns“. 

Der Versuch der Brüder, Joseph aus dem Weg zu räumen, wird hier ungeschönt ausgesprochen. 

Die Schuld kommt auf den Tisch. Ohne „wenn und aber“.

Heilsam ist dies - denn nur bei der Benennung der konkreten Schuld ist Vergebung überhaupt möglich. 

Damals und heute!

Allein die ganze Diskussion um den sexuellen Missbrauch im kirchlichen Kontext lässt haargenau erkennen, worauf es ankommt und woran - negativ gesprochen - alle Gespräche scheitern – nur scheitern können. 

Nur wenn von den Tätern oder denen, die Täter gedeckt haben, die Verantwortung ohne „wenn und aber“ übernommen wird, gibt es eine Perspektive. 

Im Kleinen wie im Großen.

Die Josephsgeschichte ist jedenfalls Beispiel dazu, dass das Aussprechen der Schuld der einzige Weg ist.

2.  Die zweite Einsicht: Die Bitte um Vergebung muss spürbar sein.

Die Brüder des Joseph sind Bittsteller. Sie stellen keine Forderungen, verlangen nichts - können im Grunde auch gar nichts erwarten.

Sie stehen da vollkommen blank – fallen vor ihm nieder. Angewiesen - mehr noch ausgeliefert der Gnade ihres Bruders. 

Warum?

Zuerst vielleicht nur, damit erlennbar wird, dass es nicht nur um Lippenbekenntnisse handelt. 

Aber vor allem geht es darum, dass ein Opfer oder dass die Opfer spüren, dass es wirklich ernst gemeint ist. Dass es kein Fake ist - wie wir heute sagen würden.

Historisch am Eindrücklichsten ist und war die Geste Willy Brandts – unseres früheren Bundeskanzlers - vor 51 Jahren am Mahnmal für die Opfer des Warschauer Ghettos: er legte nicht nur einfach Blumen ab…er ging wahrhaft in die Knie. Und sein Kniefall sprach für sich: wie nackt er da war - als Vertreter der Täter und Täterinnen…wo er Verantwortung übernahm – stellvertretend - und nur bitten konnte. 

Der Kniefall – im übertragenden Sinne - bleibt den Tätern nicht erspart.

Angenehm ist das nicht – aber notwendig.

Aber die Opfer brauchen das.

Damit sie wieder Vertrauen finden können.

3. Entsprechend die dritte Einsicht: nicht jede*r kann alles sagen kann. 

Manches kann und darf - wenn sie es überhaupt können - nur von den Opfern/den Leidtragenden ausgesprochen werden.

Die Brüder Josephs bekennen ihre Schuld und bitten um Vergebung. Vergebung, die ihnen von ihrem Bruder dann auch zugeprochen wird - doch nicht nur das - Joseph sagt einen Satz, der nicht schwerer wiegen kann: 

„Ihr gedachtet es böse zu tun, aber Gott gedacht es gut zu machen“. 

Wer dürfte so einen Satz sagen?

Was wäre gewesen, wenn einer der Brüder – also einer der Täter - es gewagt hätte, dies zu sagen?

“Wir gedachten es böse zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen!“

Klänge das nicht durch und durch zynisch.

Würden die Leidtragenden nicht verhöhnt?

So nach dem Motto: „...hatte ja doch was Gutes, was wir gemacht haben!“?

Zwischenmenschlich wie auch geschichtlich/gesellschaftspolitisch würde das jeden Versöhnungsversuch mit Füßen treten und im Keim ersticken.

Aber bei genauerem Hören auf den biblischen Text geht es nun nicht um eine Schuldrelativierung – nicht darum, dass das Böse Gutes erwirkt hat. 

Vielmehr geht es in diesem merkwürdigen Satz, dass Gott es zum Guten gemacht hat, um folgendes: dass Gott es schlicht und einfach nicht zugelassen hat, dass die Opferrolle für Joseph zum „nackten Schicksal“ wird. So hat Gott den Teufelskreis der Schuldverstrickungen durchbrochen. 

Joseph als das Opfer wird in sein Recht gesetzt.

Das, was die Brüder böse gemacht haben, hat Gott am Ende vereitelt.

Gott ist sich zudem darin als Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs treu geblieben als dass ER darüber hinaus ein ganzes Volk vor dem Hungertod bewahrt hat.

„Ihr gedachtet es böse zu tun, aber Gott gedacht es gut zu machen“. 

Das ist ein Credo der Treue Gottes und keine Entlastung der Täter.

In dieser Hinsicht ist die Josephsgeschichte eine Geschichte, in dem mehr geschieht als die Übernahme der Schuld durch die Täter. Die Schuld mit allen ihren Folgen muss nicht das letzte Wort behalten. 

Die Josephsgeschichte  lehrt uns hoffen...

...und gleichzeitig macht diese Geschichte uns nicht nur in unserer Zeit auch schmerzlich deutlich, dass das Ins-Recht-Setzen der überwältigen Mehrheit der Opfer noch aussteht.  Denn nur wenige Opfer konnten oder können diese Worte des Joseph in ihrem Leben nachsprechen.

4. Die vierte und letzte Einsicht zielt auf einen Faktor, der oft nicht mitbedacht wird: die Zeit.

Vergebung ist nichts, was man schnell „abwickeln“ könnte. Verletzungen können tief sitzen. Und im Falle Josephs haben sie sicherlich sehr tief gesessen: immerhin haben ihm seine eigenen Brüder seine besten Jahre geraubt: sie haben ihm seine Existenz zerstört - bis dahin, dass doch Joseph allen Glauben und alles Vertrauen in seine Brüder verloren haben muss.

Joseph konnte ihnen nun vergeben - nach vielen, vielen Jahren.

Hätte er ihnen schon nach kürzerer Zeit vergeben können?

Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht!

Vergebung braucht oft Zeit. Manchmal viel mehr Zeit als wir in unserem Leben haben. So gehört es ja auch zu unseren Menschheitserfahrungen, dass Vergebung zu Lebzeiten nicht zugesprochen werden kann - dass das Erlittene zu schwer wiegt, weil es alles andere erdrückt...und wo vielleicht manche Dinge auch gar nicht vergeben werden können. Denken wir allein an Auschwitz.

Vergebung braucht Zeit.

Und vielleicht braucht auch Gott Zeit dafür…!


Liebe Leserin, lieber Leser,

die Josephsgeschichte ist von der Art her Weisheitsliteratur. 

Die Tiefe der Weisheit dieser Josephsgeschichte besteht darin, dass sie die Opferperspektive wahrt. Gerade in unserer Protestantischen Tradition sind wir sehr Täter*innen-fixiert. Will sagen, dass es sich vieles immer nur um die Frage dreht, wie es Luther einmal formuliert, wie wir als Sünderinnen und Sünder „einen gnädigen Gott bekommen“. Wie es den Opfern unserer Sünden dabei geht, spielt oft keine oder nur eine nebensächliche Rolle. 

Weisheitsliteratur ist Lernstoff.

Und da können wir viel, sehr viel lernen.

Denn die Opfer müssen zu ihrem Recht kommen.

 

Amen.

 


Dies könnte Sie auch interessieren

0
Feed