Predigt zum 12. Sonntag nach Trinitatis (22.8.2021)

Predigt zum 12. Sonntag nach Trinitatis (22.8.2021)

Predigt zum 12. Sonntag nach Trinitatis (22.8.2021)

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Predigt zum 12. Sonntag nach Trinitatis (22.8.2021)

Liebe Leserin, lieber Leser,

es gibt mächtige Bilder in den biblischen Schriften. So wie auch der Wochenspruch aus dem 42. Kapitel des Jesajabuches: 

Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.

Was wird da angerührt?

Mit dem Bild vom geknickten Rohr – dem glimmenden Docht?

Für mich steht beides für das Leben. Das Leben, das immer auch fragil – anfällig – gefährdet – und so in höchster Not ist. 

Doch so fragil, so anfällig und gefährdet das Leben aus sein mag – so vermittelt es dieses Bild: das schon geknickte Rohr wird eben nicht zerbrochen – der noch glimmende Docht wird eben nicht ausgelöscht.

Ist das nicht – gerade in dieser Zeit – ungemein wohltuend?

Unsere Erde ist bedroht. Was schon vor Jahrzehnten vom „Club of Rome“ vorhergesagt worden ist, ist eingetreten. Unser menschliches Tun, die Ausbeutung der Ressourcen dieser Erde – all das, was damit in Gang gesetzt worden ist, bedroht alles Leben – bedroht auch durch alle Ungerechtigkeit, alle Gewalt…wo Afghanistan stellvertretend für all das akut steht. 

Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.

Jesaja steht mit dieser Aussage nicht allein.

An vielen anderen Stellen der biblischen Schriften wird das auf unterschiedlichste Art und Weise durchbuchstabiert: dass DER, DER diese Welt geschaffen hat – mit all dem, was darauf lebt...dass DER SEINE Schöpfung nicht preisgibt...sondern bewahrt.

Nicht umsonst wird zu Beginn eines jeden Gottesdienstes gesagt, dass Gott DER ist, DER Wort und Treue hält ewiglich und DER nicht fahren lässt das Werk SEINER Hände.

Wohltuend sind die Worte Jesajas.

Und zugleich spüre ich auch ein Unwohlsein – angesichts unserer Welt.

Wo effektiv – um das Bild des Wochenspruches aufzugreifen – Rohre zerknickt werden…glimmende Dochte ausgelöscht werden…

Besteht nicht in dem Wohltuendem auch eine Gefahr?

Gerade angesichts dieser mehr als akuten Gefährdung, die wir heute erleben?

Bringt uns dieser Wochenspruch etwa dazu, uns zu beruhigen?

Bewirkt er, dass wir abwiegeln, dass doch alles doch nicht so schlimm ist? Mehr noch: bewirkt er, dass wir die Katastrophe einfach geschehen lassen?

Es gibt Christenmenschen auf dieser Erde, die Aussagen wie die des Jesaja genauso verstehen.

In Brasilien etwa - um ein besonders krasses Beispiel zu nennen - gibt es eine große Lobby von fundamentalistischen Christen und Christinnen, die übrigens auch den brasilianischen Präsidenten unterstützen: für sie ist all die Zerstörung kein Problem. Sie widersprechen den Erkenntnissen zum Klimawandel und wehren sich entsprechend, etwas dagegen zu tun. 

Sie tun das ausdrücklich als Christen und Christinnen.

Sie gehen schlicht davon aus, dass alle Versuche, diese Welt durch menschliches Bemühen zu retten, uns nicht zusteht…und dass Gott schon alles machen wird. Hauptsache, man und frau habe den richtigen Glauben - denn nur auf den komme es an. Und alles andere läge eben nicht in unserer Hand. 

Es ist ein Denken, dass an vielen anderen Orten unserer Welt anzutreffen ist. Auch hier in Deutschland. 

Entsprechend wird auch nicht nur die Umweltstörung hingenommen, sondern auch alles andere Unrecht – alles Leid – alle Vertreibung – politische wie auch humanitäre Katastrophen wie in Afghanistan. 

Das ist vielleicht jetzt alles ein wenig holzschnittartig. 

Aber unter dem Strich kann unser Wochenspruch eben genauso genutzt werden, um zu beruhigen – in Sicherheit zu wiegen – die Probleme nicht mehr ernst zu nehmen und auszublenden.

Effektiv wäre dann so ein Wochenspruch nichts anderes als ein Narkotikum.

Es erfüllte dann das, was speziell die marxistische…philosophische Religionskritik zu Recht als Anfrage an das Christentum gestellt hat: ob Religion nicht allein dazu diene, um die Menschen ruhig zu stellen, damit sie eben alles hinnehmen.

Wäre also die Aussage Jesajas wirklich so gemeint - ein Narkotikum -, dann könnte das nur mit aller Schärfe abgelehnt werden.

Ist es so?

Gott wird schon alles richten…also macht Euch keine Sorgen?

Nein.

Ich verstehe die biblischen Schriften – und auch diesen Wochenspruch anders. Er will gerade kein Narkotikum sein – denn der Zusammenhang, in dem der Wochenspruch eingebettet ist, vermittelt eine ganz klare Richtung:

In Treue trägt er das Recht hinaus. Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht aufrichte; und die Inseln warten auf seine Weisung.

Gottes Handeln will die Befreiung von uns Menschen, die Recht und Gerechtigkeit zum Ziel hat. Das Recht soll in alle Welt gebracht werden – in Treue aufgerichtet auf Erden.

Gerechtigkeit – das ist zum einem die Gemeinschaftstreue mit allen die in Not sind: sei es durch ein Erdbeben wie auf Haiti oder durch Gewalt und Krieg wie in Afghanistan.

Gerechtigkeit betrifft zum anderen aber nicht nur das Miteinander von uns Menschen.

Die biblische Autorenschaft hat schon immer systemisch gedacht, wie wir es heute formulieren würden: Gerechtigkeit bezieht sich von Anfang an immer auch auf die gesamte Schöpfung. Weil eben auch alles zusammenhängt. 

So spricht Gott, der Herr, der die Himmel schafft und ausbreitet, der die Erde macht und ihr Gewächs, der dem Volk auf ihr den Odem gibt und den Geist denen, die auf ihr gehen…

So ist auch die Ökologie ein entscheidender Aspekt der Gerechtigkeit.

Das liegt in dem Wort selbst schon begründet. Denn in der Ökologie – diesem griechischen Wort – geht es um die „Wechselbeziehungen zwischen den Lebewesen und ihrer Umwelt“. 

So gesehen kann es Gerechtigkeit nur geben, wenn auch diese Wechselbeziehungen zwischen den Lebewesen und ihrer Umwelt einbezogen sind.  Es gibt keine Gerechtigkeit auf Kosten von etwas - gerade auch nicht auf Kosten unserer Umwelt. Denn – wie schon gesagt - es hängt alles zusammen.

Dieser Abschnitt aus dem Jesajabuch – eines der sogenannten Gottesknechtsliedern – spricht von Gottes bewahrendem Handeln, das untrennbar verklammert ist mit unserem menschlichen Handeln. 

Nicht das eine oder das andere.

Also: Keine Narkotisierung – sondern Ermutigung und darin eine Beauftragung.

Jesaja selbst hat seine Worte damals in eine Zeit der Zerstörung hineingesprochen. In eine Zeit – 500 Jahre vor unserer Zeitrechnung – , wo die meisten dachten, dass es alles aus ist: Deportation des Volkes ins ferne Babylon, die Zerstörung der Heimat – ringsherum nur verbrannte Erde.

Und inmitten dieser Zerstörung – inmitten der Hoffnungslosigkeit formen sich die Worte, dass das geknickte Rohr nicht zerbrechen wird – dass der glimmende Docht nicht verlöschen wird.

Es ist also ein Versuch des Propheten Hoffnung zu machen - Hoffnung zum Handeln. 

Trotz all der mehr als düsteren Großwetterlage auf der Welt, trotz der lähmenden Angst, trotz all derer, die sagen, dass sowieso nichts nützt – trotz alledem. 

Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.

Wir sind nicht in einem Schicksal gefangen. Es gibt keinen Grund, fatalistisch die Hände in den Schoß zu legen. Es gibt vielmehr Grund umzukehren.

Der Zustand der Welt lehrt uns schon lange, dass Umkehr mehr als nötig ist. 

Das, was wir aktuell erleben: die vielen Brände rund um unseren Planeten, die Extremwetter und Überschwemmungen, die Dürre, die damit verbundenen humanitären Katastrophen – all das macht deutlich, dass die notwendige Umkehr weitreichend sein wird und auch sein muss.

Ja – unser Wochenspruch: er ist wohltuend, weil er uns stärkt.

Noch ist – global gesprochen – das Rohr geknickt und vollends zerbrochen…noch ist der Docht am Glimmen und nicht ausgelöscht. 

Wir können unseren Teil beitragen.

Und da ist das Gebet der erste Schritt wie dann auch unsere Diakonie-Kollekte für die Flutwasseropfer oder die Aufnahme afghanischer Flüchtlinge. Aber das ist nur ein kleiner Anfang.

Amen.

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