Predigt zum vorletzten Sonntag des Kirchenjahres

Predigt zum vorletzten Sonntag des Kirchenjahres

Predigt zum vorletzten Sonntag des Kirchenjahres

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Predigt zum vorletzten Sonntag des Kirchenjahres

Liebe Leserin, lieber Leser,

Am Ende steht das Gericht. So auch im Kirchenjahr, das jetzt bald zu Ende geht.

Vom Gericht zu reden, erscheint nun nicht „vergnügungssteuerpflichtig“ zu sein. Die christliche Tradition hat schon früh erschreckende Bilder gezeichnet und das Gericht – das Jüngste Gericht – zu einem Schreckensszenario mutieren lassen: Fegefeuer, Hölle, ewige Verdammnis. 

Christliche Existenz in Furcht vor dem Richterstuhl Christi. Wo das Gericht drohend – wie ein Damoklesschwert –  über uns Christenmenschen baumelt.

Doch ist der Richterstuhl Christi – ist das Jüngste Gericht wirklich ein Angstfaktor?

Oder: ist das nicht eher ein Hoffnungsfaktor?

Ist es nicht vielmehr ganz entscheidend, dieses Gericht getrost und erwartungsvoll im Blick zu haben?

So verstehe ich jedenfalls Paulus, der folgende Sätze an die Gemeinde in Korinth geschrieben hat: 

Denn wir wissen: Wenn unser irdisches Haus, diese Hütte, abgebrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel. Denn darum seufzen wir auch und sehnen uns danach, dass wir mit unserer Behausung, die vom Himmel ist, überkleidet werden, weil wir dann bekleidet und nicht nackt befunden werden. Denn solange wir in dieser Hütte sind, seufzen wir und sind beschwert, weil wir lieber nicht entkleidet, sondern überkleidet werden wollen, damit das Sterbliche verschlungen werde von dem Leben. Der uns aber dazu bereitet hat, das ist Gott, der uns als Unterpfand den Geist gegeben hat. So sind wir denn allezeit getrost und wissen: Solange wir im Leibe wohnen, weilen wir fern von dem Herrn; denn wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen. Wir sind aber getrost und begehren sehr, den Leib zu verlassen und daheim zu sein bei dem Herrn. Darum setzen wir auch unsre Ehre darein, ob wir daheim sind oder in der Fremde, dass wir ihm wohlgefallen. 10 

Denn wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, auf dass ein jeder empfange nach dem, was er getan hat im Leib, es sei gut oder böse.

Worum geht es Paulus?

Er formuliert letztlich eine große Hoffnung.

Am eindrücklichsten wird diese Hoffnung in dem Satz in Worte gefasst,wenn Paulus sagt, dass alles Sterbliche vom Leben verschlungen werde.

Die einerseits nüchterne Einsicht, dass unser Leben – so wie wir es kennen –  endlich und also vergänglich ist  – dass klar ist, dass wir alle sterben werden, wird diese Einsicht in die Hände der Hoffnung gelegt: dass all das, was wir erlebt haben – dass wir selbst – vom Leben aufgefangen werden. Und dieses Leben ist das von Gott gewollte, unverletzte Leben. Leben als Perspektive – Leben als Ausdruck dafür, dass der Tod und alles Leiden eben nicht das letzte Wort haben.

Und ist es nicht ein wunderbares Bild: das Sterbliche vom Leben verschlungen?!

Alles was war und ist – alles Leiden – alles dem Tod Geweihte – alles was ein Mensch erlebt ist nicht das abschließende Kapitel. 

Gott öffnet ein neues Kapitel: das Kapitel des ungebrochenen Lebens.

Den Sätzen des Paulus ist anzumerken, dass er um Worte und um Bilder ringt, um das eigentlich Unformulierbare auszusprechen. 

Denn wir soll eine Hoffnung in Worte gefasst werden, für die wir keine Erfahrungsworte haben? 

Und doch weisen seine Bilder und Worte auf etwas ganz Elementares, was für unser Verständnis des Richterstuhls Christi hilfreich ist:

Seine Hoffnung beinhaltet auch das Bild des Überkleidetwerdens.

Gerade im Blick auf die Gerichtsthematik ist das wichtig.

Beim Gericht kommt schnell die Vorstellung hoch, dass da Angeklagte vor dem Richterstuhl stehen, die bloßgestellt werden. Wo sie klein gemacht werden – gedemütigt werden.

Wir haben zu Beginn der Woche in Düsseldorf erneut des Novemberpogroms 1938 gedacht – und uns an den Naziterror erinnern lassen: wo das Ent-Kleiden zum System gehörte…nicht nur bei denen, die in die KZs getrieben wurden, sondern auch bei denen die vor Gericht standen, wo sie nicht nur verbal gedemütigt wurden. Beim berüchtigten Nazi-Richter Roland Freisler wurden den Angeklagten Hosenträger und Gürtel abgenommen. Da sie als Angeklagte vor dem Gericht die ganze Zeit stehen mussten, waren sie gezwungen, ständig ihre Hosen festzuhalten. 

Gottes Gericht hat aber nichts mit Demütigung zu tun. 

Die Integrität des Menschseins wird von Gott selbst gewahrt.

Denn darum seufzen wir auch und sehnen uns danach, dass wir mit unserer Behausung, die vom Himmel ist, überkleidet werden, weil wir dann bekleidet und nicht nackt befunden werden.

Und das gilt für alle.

Täter wie Opfer – Opfer wie Täter.

Denn ein Problem in unserem traditionellen Nachdenken über das Jüngste Gericht ist, dass wir immer nur Täterorientiert denken. 

Was meine ich damit?

Weil nur daran gedacht wird, was das Gericht für diejenigen bedeuten könnte, die etwas Schlechtes gemacht haben – die etwas ausgefressen haben – hatte das auch das Potential, so eine Angstkulisse aufzubauen. Deshalb hatte die Kirche schon sehr früh die Möglichkeit, die Christen und Christinnen in Angst und Schrecken zu versetzen – sie einzuschüchtern – immer natürlich mit der flankierenden Botschaft, dass sowieso alle Sünder und Sünderinnen – also Täter und Täterinnen seien. Das Gericht als Vehikel für die eigene Macht!

Das christliche Nachdenken über das Jüngste Gericht war aber eher selten bis kaum opferorientiert. Das Gericht geriet aus dem Blick als der Ort, an dem all den Opfern Recht zugesprochen wurde. Wo sie aus dem Vergessen der Menschheitsgeschichte entrissen werden können. Wo sie rehabilitiert werden: eben vom Leben verschlungen werden – wo gerade sie wieder eine Perspektive erhalten. 

Das Jüngste Gericht als der Ort, wo all das, was schief und abgebrochen ist, wieder zurechtgebracht und zurechtgerückt wird. 

Das Gericht als Eröffnung einer neuen Perspektive für alle.

Wo auch die menschliche Integrität der Täter und Täterinnen gewahrt bleibt.

Sie nicht entblößt dort stehen.

Wo sie sich erklären können und sich auch zu erklären haben.

Wo es auch ein Ort der Scham für sie sein wird.

Wo eben alles offenbar sein wird.

Wo es kein Ausweichen gibt.

Und doch: wo alles unter dem Vorzeichen steht, dass das Leben alles Sterbliche verschlingt. 

Liebe Leserin, lieber Leser,

diese Sicht hat Paulus selbst getröstet- auch weil er ja prinzipiell ein Täter ist. 

Sie hat ihm die Angst genommen: die Angst, dass alles Erleiden „hier auf Erden“ – aber auch die eigene Schulderfahrung letztendgültig sei. 

Diese Sicht hat ihm Kraft gegeben. 

Es ist bei ihm fast so etwas wie eine Freude, auf das, was kommen mag.

Es ist aber keine Weltflucht.

Es ist Lebenselixier – für das Hier und Jetzt.

Denn wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, auf dass ein jeder empfange nach dem, was er getan hat im Leib, es sei gut oder böse.

Das ist keine Drohung.

Es ist eine Verheißung.

Amen.

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