Predigt zum Ewigkeitssonntag: Jesaja 65,17-20.23-25

Predigt zum Ewigkeitssonntag: Jesaja 65,17-20.23-25

Predigt zum Ewigkeitssonntag: Jesaja 65,17-20.23-25

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Predigt zum Ewigkeitssonntag: Jesaja 65,17-20.23-25

Der heutige Predigttext steht im Buch des Propheten Jesaja in Kapitel 65:

„Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird. Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Denn siehe, ich erschaffe Jerusalem zur Wonne und sein Volk zur Freude, und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk. Man wird in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens. Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur ein paar Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen, sondern als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt. Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen; denn sie sind das Geschlecht der Gesegneten des Herrn, und ihre Nachkommen sind bei ihnen. Und es soll geschehen: Ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören. Wolf und Lamm sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber die Schlange muss Erde fressen. Man wird weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der Herr.“

Liebe Gemeinde,

dieser Text malt das strahlende Hoffnungsbild eines Lebens, das so gänzlich anders ist als jenes, das uns die Realität der gegenwärtigen Welt entgegenstellt. Dieses Bild zeigt fröhlich tanzende Menschen jeden Alters. Ihre Augen strahlen, aus ihren Mündern erschallt lautes Lachen, sie strecken die Arme in die Luft. Auch Gott tanzt. Es bleibt unklar, in welcher Gestalt, und doch: Gott feiert und tanzt und lacht mit. Er ist den Menschen nah und begleitet sie. Gott ist nicht mehr fern, so wie er es oft war im alten Leben.

Das Leben wird in diesem Bild gemalt als eines, das seinen Schrecken, sein Leid und seine Traurigkeit verloren hat. In diesem Leben herrscht keine Gefahr mehr. Es ist nicht mehr bedroht, sei es durch zu frühen Tod, durch habgierige Menschen, durch Naturgewalten, Missgunst oder Gewalt. Ich gebe es zu: Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Dabei lässt mich ein Satz im biblischen Text aufhorchen: „Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur ein paar Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen, sondern als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt.“ Der Tod bleibt also ein fester Bestandteil des Lebens in diesem neuen Himmel und auf dieser neuen Erde. Doch es ändert sich ein wesentlicher Teil: Der Tod hat seinen Schrecken verloren. Er kommt nicht mehr zur Unzeit. Der Tod ist hier die Antwort auf ein erfülltes Leben. Er ist auch kein Abschied mehr, denn die Verstorbenen und ihre Nachkommen bleiben stets eng miteinander verbunden.

Der Hoffnungstext von Jesaja gibt uns kaum Auskunft darüber, wann die Zeit des neuen Himmels und der neuen Erde sein wird. Er sagt uns aber ganz genau, wo es sein wird. Er sagt: Auf meinem ganzen heiligen Berg. Damit ist der Berg Zion in Jerusalem gemeint. Heute kennen wir ihn als den Tempelberg. In der hebräischen Bibel ist dieser Berg der Ort, an dem Gott wohnt. Dort ist er der Schöpfung und den Menschen ganz nah, und ist zugleich außerhalb allen Irdischen. Doch nicht nur der Berg ist von großer Bedeutung für diesen neuen Himmel und diese neue Erde: Es ist auch die alles überstrahlende neue Stadt: das neue Jerusalem. Wir haben in der Evangelienlesung und im Lied „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ schon von dieser Stadt gehört. Das himmlische Jerusalem ist noch prunkvoller, noch schöner als es die irdische Stadt je sein kann. In dieser Stadt verändert sich, wer wem nahe ist: Denn nun sind es die Menschen, die bei Gott im himmlischen Reich leben.

Auf diesem heiligen Berg – dort, wo Gott bei den Menschen wohnt, und dort, wo die Menschen im neuen Jerusalem bei Gott wohnen – berühren sich Himmel und Erde, Altes und Neues. Auf diesem Berg berühren sich jetzt und bald. Plötzlich werden die Grenzen zwischen dem Alten und dem Neuen ganz brüchig. Ich erhasche einen Blick auf das Jubeln auf dieser neuen Erde. Ich erhasche einen Blick auf die Pracht dieses neuen Himmels. Warm wird mir da ums Herz, wenn ich sehe, was da auf mich wartet. Und doch bin ich auch traurig um das, was ich noch nicht erleben kann. Fast erscheint es mir als träumte ich, wenn ich dem biblischen Text lausche: Ich stehe auf dem Berg Zion, mein Blick gen Himmel gerichtet, da erscheinen diese wundervollen Bilder. Bis ich wieder aufwache, hier in Düsseldorf. Schon umgibt mich wieder der trübe Novembernebel. Schon tröpfeln mir wieder feine Wasserfäden ins Gesicht. Meine Gedanken kehren zurück. Augenblicklich vermisse ich die Wärme. Ich vermisse das Lachen, die Fülle an Leben und Freude. Das Neue scheint verloren. Inmitten des Novembergraus entgleitet mir das Neue immer und immer mehr. Unmut macht sich in mir breit: Ich will das strahlende Neue nicht verloren geben. Es muss doch noch andere Orte geben, an dem das Neue das Alte berührt, als diesen heiligen Berg!

Ich straffe meinen Rücken, ziehe die Riemen meines Rucksacks fester und mache mich auf den Weg. Stets habe ich Gottes Stimme im Ohr. Ein Satz leitet mich dabei. Immer und immer wieder geht er mir durchs Herz: „Man wird in Jerusalem nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens.“

Da, plötzlich ziehen feine gold’ne Fäden durch den dichten Nebel. Sie funkeln und glitzern. Sie zeigen mir den Weg. Wieder ist da dieser Satz; wieder geht er mir durchs Herz: „Man wird in Jerusalem nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens.“ Immer massiver werden die Fäden. In ihnen strömt schimmerndes Gold. Vorsichtig strecke ich meine Hände aus nach ihnen, wage es jedoch nicht sie zu berühren. Sanft ziehen die Goldfäden an mir. Sie weisen mir die Richtung. Wo sie mich berühren, wird es warm. Da ist dieser Satz wieder, jetzt klar und deutlich: „Man wird in Jerusalem nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens.“ Da strahlen die Goldschimmerfäden so hell, dass das dichte Grau des Nebels vor ihnen weicht. Die Dunkelheit bricht auf. Da ist Licht! Da ist Wärme! Ich schaue mich um. Wohin haben mich die Goldschimmerfäden nur geführt?

Ich sehe eine Weide. Ihre Blätter säuseln im Wind. Neben ihr ein schmaler Weg voller Kies. Während ich ihn betrete, knirschen die Steine unter meinen Schritten. Der Weg wird schmaler. Meine Schritte nur noch ein leichtes Klopfen auf federndem Boden. Hier flirrt der Goldschimmer nun, zieht keine Fäden mehr. Ich bleibe stehen. Schaue mich um. Da sehe ich ihn.

Ein Mann steht dort hinten. Er unterhält sich. Doch mit wem? Niemand steht bei ihm. Jetzt zieht er sich eine Bank heran. Auf ihr liegt ein Rucksack. Aus diesem holt er eine Packung Kekse heraus. Er macht sie auf, holt einen Keks heraus und beißt von ihm ab. Er erzählt und erzählt und erzählt. Da gestikuliert er, ganz wild und aufgebracht. Der Mann springt auf. Er tigert von links nach recht; von rechts nach links. Setzt sich wieder hin. Wieder hebt er seine Arme. Er wirft sie in die Luft, doch sogleich legt er sie sich ums Gesicht. Seine Schultern scheinen ihm schwer zu werden: Er sackt in sich zusammen. Sein ganzer Körper bebt und zittert: Der Mann weint. Lautes Schluchzen. „Ich vermisse dich so sehr!“

Plötzlich geschieht das Unglaubliche: Das Flimmern und Schwirren der Goldschimmerfäden beruhigt sich. Der Goldschimmer wird zu einem Netz aus Wärme und Licht. Funkelnd schwirren die Fäden zu dem weinenden Mann. Die feinen Fäden tasten und suchen; sie strecken ihre Spitzen aus. Dann tanzen die vielen Fäden um ihn herum. Sie tanzen, als hörten sie eine himmlische Melodie. Sie tanzen, als lachten und jauchzten sie. Und während diese Goldschimmerfäden den Mann einweben in einen Funkelglitzerteppich, drehen sie sich gen Himmel. Immer weiter und weiter. Bis nur noch zu erahnen ist, wo sich Himmel und Goldschimmer berühren.

Da höre ich den Mann lachen. Glockenhell klingt es. Er tanzt und lacht vor lauter Freude. Plötzlich erstrahlt er selbst ganz golden und funkelt vor Glück. Kurz bleibt er andächtig stehen und schaut zu Boden. Ich höre es kaum, erahne es mehr, als er spricht: „Bald sehen wir uns wieder. Alles wird gut, mein Herz.“ Da geht er auch schon zur Bank, packt die Kekspackung wieder ein, schließt den Rucksack und zieht ihn auf den Rücken. Aufrecht dreht er sich noch einmal um und nickt. Dann geht er fort.

Lange, nachdem der Mann gegangen ist, gehe ich zur Bank. Ich setze mich. Und da sehe ich, wohin er gesprochen hat. Dort vorne steht ein Stein. Er ist nicht besonders groß. Davor ein kleines Beet mit bunten Blumen. Ganz frisch und farbenfroh stehen sie da. Eine Kerze brennt. Und ein Name steht in den Stein gemeißelt. Darunter eine Reihe an Zahlen. Es sind zwei Daten. Das zweite von ihnen fällt auf den heutigen Tag, jedoch vor zwei Jahren.

Da klingt mir noch ein letztes Mal der Satz im Herzen: „Man wird in Jerusalem nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens.“ Und ich glaube ganz fest daran: Hier berühren sich Altes und Neues. Hier reicht der neue Himmel in unser Hier und Jetzt. Das Neue ist schon ganz nah. 

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