Predigt zum 1. Advent

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Predigt zum 1. Advent

Liebe Leserin, lieber Leser!

Die Adventszeit hat angefangen.

Adventszeit in Zeiten, die wieder anders sind als vor der Pandemie.

Das neue Kirchenjahr startet erneut in einem Lebensgefühl der Verunsicherung. Mehr noch: die Hoffnung, diesen Spätherbst und Winter moderat erleben zu können angesichts einer Pandemie, die sich nach und nach selbst überlebt, hat sich zerschlagen. Mehr noch: im Würgegriff einer gesundheitlichen Krise erleben wir auch all das andere: ein Gegeneinander von Geimpften und Ungeimpften, eine Spaltung dieser Gesellschaft – gar nicht zu nennen: die wenig fröhliche Großwetterlage in unserer Welt.

Eine Welt, die wie aus den Fugen geraten zu sein scheint.

Ein Land, das sich verändert – verändert hat.

Und da feiern wir Advent.

Vorweihnachtliche Stimmung?

Streng genommen ist der Advent vergleichbar mit der Passionszeit. 

Es ist eine Zeit der Vorbereitung. 

An sich Zeit der Buße.

Advent als Zeit des In-Sich-Gehens – der Besinnung. 

Im Blick auf das kommende Weihnachtsfest, an dem wir uns an die Geburt des Heilands erinnern, wäre also zu fragen, worauf wir uns besinnen können – sollten?

Was sagen in so anstrengenden Zeiten?

Auch wenn die Bibel so alt ist, überrascht sie damit, dass ihre Texte wie zeitlos erscheinen. Wie der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext. Ein Abschnitt aus dem Brief des Apostel Paulus an die Gemeinde in Rom – einer Gemeinde, die damals – sicherlich anders – und dann doch gefühlt anstrengende – unsichere Zeiten durchlebte:

8 Bleibt niemandem etwas schuldig, außer dass ihr einander liebt. Denn wer den andern liebt, hat das Gesetz erfüllt. 9 Das Gebot nämlich: Du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht begehren, und was es sonst noch an Geboten gibt, wird in dem einen Wort zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. 10 Die Liebe fügt dem Nächsten nichts Böses zu. Des Gesetzes Erfüllung also ist die Liebe.11 Und dies tut im Wissen, dass die Stunde geschlagen hat: Es ist Zeit, aus dem Schlaf aufzuwachen. Denn jetzt ist unsere Rettung näher als zu der Zeit, da wir zum Glauben kamen. 12 Die Nacht ist vorgerückt, bald wird es Tag. Lasst uns also ablegen die Werke der Finsternis und anziehen die Waffen des Lichts!

Finsternis und Licht!

Wir erleben mehr oder weniger eine Finsternis – um eines der Worte aus dem Predigttext aufzugreifen – , in der alles Leichte und Lebensfrohe aufgesogen wird – wie durch Dementoren (für alle Harry Potter Kenner und Kennerinnen).

Eine Finsternis, die eine hohe Ansteckungsgefahr hat. Gerade auch angesichts der Stimmung in diesem Land. Speziell auch im Blick auf die Pandemie.

Diese Mischung aus Gereiztheit, Frustration, Angst und Hoffnungslosigkeit.Es scheint nur noch „Schwarz“ oder „Weiß“ zu geben. Keine Graustufen mehr. Alle werden jeweils in einen Topf geworfen.

Der Ton wird nicht nur schärfer – er bekommt mehr und mehr etwas Unerbittliches.

Es ist bedrückend wie sich alles derzeit entwickelt.

Und diese Angespanntheit breitet sich aus – verbaut uns das „Denken ohne Geländer“ wie es einmal Hanna Arendt formuliert hat.

„Denken ohne Geländer“ – darunter verstehe ich heute die Fähigkeit immer auch Abstand zu gewinnen zur aktuellen Situation – die Fähigkeit, wenn auch nur kurz „auszusteigen“ - sich aus einem Schwarz-Weiß-Denken immer wieder zu lösen – Zwischentöne zu zulassen. Offen zu sein für etwas, was man mitten im Konfliktgeschehen übersehen hat – vielleicht auch gar nicht sehen konnte.

So ein „Denken ohne Geländer“ wäre so wichtig. 

Denn das Schlimme an dieser Finsternis ist das Misstrauen, das sich schleichend festsetzt: „Der/die Andersdenkende: Der potentielle Feind – die potentielle Feindin!“

Wohin manövrieren wir uns ganz menschlich, wenn das so weitergeht?

Was macht das mit unserem Zusammenleben?

Im Kampfmodus ist der Blick verengt. 

Und wir verhärten.

Diese Pandemie tut niemanden gut.

In jeder Hinsicht.

Aber vor allem nicht unseren Seelen.

Und ich befürchte, dass allein gesamtgesellschaftlich die Folgen noch lange zu spüren sein werden. 

Ein „Denken ohne Geländer“ – es wäre so wichtig. 

Weil doch die Situation, in der wir alle stecken, noch sehr viel komplizierter ist als wir meinen. Es ist kein Einzelproblem – sondern ein systemisches Problem.

Die Frage „Impfen – ja oder nein“ ist sicherlich eine sehr zentrale Frage.

Ich selber befürworte das Impfen - und gleichzeitig geht es doch genauso um die Frage, wie wir leben.

Die Veränderung des Klimas – das Abholzen der Wälder weltweit, um Weideflächen zu erschließen oder Anbauflächen für Monokulturen – der steigende Verzehr von Fleisch – bis hin zum Verzehr von Lebensmitteln mit hohem Zuckergehalt … das alles hängt zusammen und ist auch ein Bestandteil unserer derzeitigen desaströsen Situation: weil alles uns schwächt und anfällig macht. Denn je mehr zerstört wird und je mehr wir so haushalten und so verzehren wie es aktuell der Fall ist, wächst noch mehr die Gefahr von einer nächsten Pandemie.

Und da – inmitten meiner Ratlosigkeit und Sorge – erlebe ich den heutigen Predigttext wie einen Strohhalm.

Ich verstehe den Apostel Paulus so, dass sich die Gemeinde in Rom und wir uns heute nicht anstecken lassen sollen: von dieser Eigendynamik der Finsternis.

Wie kann das aber gehen – sich nicht anstecken zu lassen...in solchen Zeiten?

Nur mit einem Perspektivenwechsel.

Bleibt niemandem etwas schuldig, außer dass ihr einander liebt.

Paulus nennt – als „Waffe“ – die Liebe. 

Die Nächstenliebe – die alle Weisungen/Gebote der Bibel auf den Punkt bringt – ist ja nichts anderes, als im Gegenüber einen Menschen zu sehen. Einen Menschen, der oder die mit den eigenen Grundbedürfnissen sich in Nichts von mir selber unterscheidet.

So geht es in der Nächstenliebe um nichts anderes als um Menschlichkeit – Zugewandtheit – Hilfsbereitschaft – Fairness.

Die Liebe fügt dem Nächsten nichts Böses zu.

Es mag nun der eine oder die andere einwenden, das wäre naiv!

Ist es aber nicht.

Das ist alles andere als weltfremd oder kirchliche Sozialromantik.

Denn solche Liebe im biblischen Verständnis ist intelligent.

Diese Liebe ist wach – nüchtern.

Das Gegenüber als Menschen zu sehen, sieht ihn oder sie als Menschen mit all dem, was das Menschsein ausmacht: mit der Bedürftigkeit – mit der Schönheit und: auch der Abgründigkeit. 

Solche Liebe hilft daher zu unterscheiden.

Solche Liebe wirft Menschen nicht in den gleichen Topf!

Das ist das eine.

Das andere ist: diese Liebe ist Ausdruck der Hoffnung.

Wer versucht, diese Welt mit den Augen zu betrachten, die von dem Geist der Nächstenliebe berührt sind, wird all das, was schiefläuft, sehen. Ja. Und gleichzeitig von der Zusage leben, dass all das eben nicht Recht bekommt – nicht das letzte Wort hat.

Liebe lässt die Hoffnung nicht fahren, dass die Finsternis den Kürzeren ziehen wird.

Es ist heute der 1. Advent.

Sich auf diese Liebe zu besinnen, würde genau dem entsprechen, auf das wir jetzt zugehen: auf die Erinnerung an die Geburt dessen, der diese Liebe verkörpert hat – gelebt hat.

Gerade in diesen Zeiten, die uns alle durchschütteln.

Ich möchte mit einer Fundsache schließen.

Mit einem kleinen Text, den ich zum Thema Hoffnung einmal gefunden habe – ein Text, der zu dem Gesagten passt ... zum Sich-Besinnen und zum Hoffen.

Blindheit wird zur Klarheit

Hass wird zu Solidarität

Dummheit wird zur Humanität

Angst wird zu Mitgefühl

Amen.

 

Pfarrer Peter Andersen

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