Predigt zum 1. Weihnachtstag

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Predigt zum 1. Weihnachtstag

Weihnachten ist das Fest der Kinder. Nicht nur der kleinen, die mit leuchtenden Augen vor dem Christbaum sitzen und ihre Geschenke auspacken, sondern auch der großen Kinder. Wohl denen, die sich etwas Kindliches bewahrt haben in ihrem Leben, die besondere Offenheit der Kinder für Freude und Schmerz, für Glück und Trauer, für die große und weite Welt der Gefühle. Es passt darum gut, dass im Johannesevangelium und in den Johannesbriefen unser Verhältnis zu Gott im Bild des Kindes ausgedrückt wird: 

1Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch! Darum erkennt uns die Welt nicht; denn sie hat ihn nicht erkannt. 2Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen: Wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. (1. Joh 3,1-2; Lutherbibel 2017) 

Da ist es: Das große Weihnachtsgeschenk. Wir sind Gottes Kinder. Und wir sind es wirklich. Das ist nicht nur so eine Redensart, nicht einer von diesen unzähligen Marketing-Sprüchen, die sich bei näherem Hinsehen in Wohlgefallen auflösen. Kind Gottes, das steht für unser Verhältnis zu Gott. Und es charakterisiert zugleich dieses Verhältnis zu Gott. Der himmlische Vater und seine Kinder sind einander in Liebe und Vertrauen verbunden. 

Nun ist dieses Bild vom Kind Gottes und vom himmlischen Vater in der Tat altbekannt. Es zählt zu den traditionellen Wendungen in unserem Sprechen von Gott. Und darum wurde es und wird es vielfach kritisiert. Das Bild des himmlischen Vaters hat seine Grenzen. Wenn der irdische Vater wenig vertrauenswürdig ist, dann fällt es schwer, zu Gott im Bild des himmlischen Vaters Vertrauen zu fassen.

Und dann ist der himmlische Vater ja auch noch ein männliches Bild. Auch dieser Umstand wurde und wird kritisiert. Gott werde dadurch als Mann missverstanden. Müsste der himmlische Vater nicht um eine himmlische Mutter ergänzt werden?

Auch das Bild des Kindes löst immer wieder Unbehagen aus. Zwischen Vater und Kind besteht ein Größenunterschied, das ist offensichtlich. Sollen wir darum klein und unmündig gehalten werden im Verhältnis zu einem übermächtigen Gott-Vater?

Das Bild des himmlischen Vaters hat seine Grenzen, und es ist wichtig, diese zu sehen. Auch deshalb, weil das Reden von Gott in der Vergangenheit immer wieder missbraucht worden ist, um Frauen auszugrenzen oder Kinder unmündig zu halten.

Damit muss Schluss sein! Nichts wäre unangemessener im Blick auf Gott, denn das Bild vom himmlischen Vater hat auch seine Stärken.

Die größte Stärke dieses Gottesbildes ist diese: Es nimmt einen Prozess in den Blick. Nicht nur ein Sein, sondern ein Werden! Es ist darum alles anderes als ein Bild, das Menschen klein und unmündig hält. Im Gegenteil! Es kann Veränderung und Entwicklung anstoßen und fördern.

Denn im Zentrum dieses Bildes von Gott, dem himmlischen Vater, steht die Liebe. Liebe macht Gottes Wesen aus. Liebe ist Gottes erster und letzter Name, den wir rufen und dem wir vertrauen. Die Krippe ist wohl auch deshalb ein so weit verbreitetes Bild für Weihnachten, weil sie Liebe und Geborgenheit in einer kalten und allzu oft feindlichen Welt symbolisiert.

Wir müssen nicht lange suchen, um uns Erfahrungen von Kälte und Feindseligkeit vor Augen zu führen. In vielen Staaten der Erde regieren autoritäre Machthaber, die ihre Völker unterdrücken, ja die selbst vor militärischen Drohgebärden nicht zurückschrecken. Und die Corona-Pandemie, die uns nun seit fast zwei Jahren beschäftigt, ist auch eine Erfahrung der Kälte. Wir verbinden die Natur gerne mit positiven Bildern und Gefühlen, doch sie beschert uns eben auch Viren, denen wir nicht gewachsen sind.

Gegen diese Erfahrungen steht in der Bibel die Rede von der Liebe Gottes, die uns Menschen zur Gemeinschaft erwählt, zur Gemeinschaft mit Gott und untereinander.

Paul Gerhardt hat diese Liebe Gottes in seinen Liedern in immer neuen Anläufen meditiert und wunderbare Bilder dafür gefunden, so auch in seinem Weihnachtslied „Ich steh an deiner Krippen hier“. Dort heißt es in der zweiten Strophe:

Da ich noch nicht geboren war,/da bist du mir geboren/ und hast mich dir zu Eigen gar,/ eh ich dich kannt, erkoren./ Eh ich durch deine Hand gemacht,/ da hast du schon bei dir bedacht,/ wie du mein wolltest werden. (EG 37,2)

Gottes Liebe kommt uns immer zuvor. Bevor wir uns für Gott entscheiden könnten, hat Gott sich schon für uns entschieden. Diesen Gedanken steigert Paul Gerhardt über die Grenze unserer Geburt hinaus. Noch bevor wir überhaupt geboren sind, hat Gott uns schon im Blick, hat uns zu seinen Kindern erwählt.

Das ist durchaus schwer zu fassen, gedanklich und gefühlsmäßig. Und darum bittet Paul Gerhardt dann auch:

O dass mein Sinn ein Abgrund wär/ und meine Seel ein weites Meer,/ dass ich dich möchte fassen! (EG 37,4)

Gott ist immer größer als unsere Bilder von ihm. Das ist gerade an Weihnachten wichtig zu sagen. Wir erkennen Gott in Jesus Christus. Das ist und bleibt wahr. Und dennoch wird Gott damit nicht zu einer bekannten Größe, von der wir alles wüssten. Im Gegenteil: Je näher wir Gott kommen, je stärker wir in den Wirkungskreis seiner Liebe eintreten, umso mehr werden wir selbst zu Unbekannten.

„Wir sind schon Gottes Kinder, es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden.“

In Gottes Liebe verändert sich unser Leben, verändern wir uns selbst. Wir werden erneuert als Menschen, die Gott nach seinem Bild schafft. Mit Gottes Liebe zu uns beginnt ein Weg, dessen Ende wir noch nicht kennen, den wir auch nicht gedanklich vorwegnehmen können. Wir können diesen Weg nur gehen und darauf vertrauen, dass er am Ende zu Gott selbst führen wird, ja uns selbst Gott angleichen wird.

„Wir wissen: Wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“

Das klingt geheimnisvoll, mystisch und ist es auch. Und natürlich stellen sich sofort wieder viele Fragen.

Zum Beispiel die Frage: Woran merke ich eigentlich, dass ich in diesem Prozess bin, dass ich diesen Weg der Veränderung in Richtung Gott gehe? Die Welt erkennt uns nicht als Gottes Kinder, sagt der erste Johannesbrief, weil sie Gott nicht erkennt. Ihr ist dieser Prozess verborgen. Aber woran merken die Kinder Gottes selbst, dass die Liebe Gottes an und in ihnen wirkt?

So richtig harte Kriterien gibt es dafür wohl nicht. Vor allem nicht solche, die es uns erlauben würden, unsere Mitmenschen zu sortieren. Gotteskindschaft ist keine Fremddiagnose und schon gar keine Ferndiagnose. Aber es gibt Zeichen, und wir können lernen, auf sie zu achten und sie immer besser wahrzunehmen.

Es gehört zu diesen Zeichen, dass Menschen von sich selbst absehen können. Wir sind ja oft so sehr an uns selbst gebunden, an unsere Befürchtungen, aber auch an unsere Pläne und Hoffnungen. Und wenn es dann zu Planänderungen kommt, was ja im Leben eigentlich immer der Fall ist, dann reagieren wir mit umso größerer Angst und Sorge oder auch mit Aggression.

„Wir wollen unser altes Leben zurück“, schrie mich vor ein paar Tagen die Teilnehmerin einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung an. Ja, wer möchte nicht sein Leben zurück?

Vielleicht ist aber auch genau das der Punkt, dass unser Leben im Werden ist, dass wir es gar nicht zurückhaben, sondern immer nur neu empfangen können aus der Hand Gottes und dabei vor allem eins werden: Liebende!

Was denn auch sonst, wenn wir uns auf Gottes Liebe zu uns verlassen.

Da ist es also: Das große Weihnachtsgeschenk. Die unerschöpfliche, alle Seelengröße übersteigende und doch unser Leben verändernde Liebe Gottes.

So lass mich doch dein Kripplein sein;/ komm, komm und lege bei mir ein/ dich und all deine Freuden. (EG 37,9)

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