Predigt zum Sonntag Invocavit (6.3.2022)

Predigt zum Sonntag Invocavit (6.3.2022)

Predigt zum Sonntag Invocavit (6.3.2022)

# Predigten

Predigt zum Sonntag Invocavit (6.3.2022)

Von Peter Andersen.  

8 Und der König von Aram führte Krieg mit Israel und beriet sich mit seinen Obersten und sprach: Wir wollen da und da einen Hinterhalt legen. 9 Aber Elisa (der Schüler des Propheten Elia), der Mann Gottes sandte zum König von Israel und ließ ihm sagen: Hüte dich, dass du nicht an diesem Ort vorüberziehst, denn die Aramäer lauern dort. 10 So sandte denn der König von Israel hin an den Ort, den ihm der Mann Gottes gesagt und vor dem er ihn gewarnt hatte, und war dort auf der Hut; und tat das nicht nur einmal oder zweimal. 11 Da wurde das Herz des Königs von Aram voller Unmut darüber, und er rief seine Obersten und sprach zu ihnen: Wollt ihr mir denn nicht sagen, wer von den Unsern es mit dem König von Israel hält? 12 Da sprach einer seiner Obersten: Nicht doch, mein Herr und König, sondern Elisa, der Prophet in Israel, sagt alles dem König von Israel, auch was du in der Kammer redest, wo dein Lager ist. 13 Der König der Aramäer sprach: So geht hin und seht, wo er ist, damit ich hinsende und ihn holen lasse. Und sie sagten es ihm an und sprachen: Siehe, er ist in Dotan. 14 Da sandte er hin Rosse und Wagen und ein großes Heer. Und als sie bei Nacht hinkamen, umstellten sie die Stadt. 

15 Und der Diener des Elisas stand früh auf und trat heraus, und siehe, da lag ein Heer um die Stadt mit Rossen und Wagen. Da sprach sein Diener zu ihm: O weh, mein Herr! Was sollen wir nun tun? 16 Elisa sprach: Fürchte dich nicht, denn derer sind mehr, die bei uns sind, als derer, die bei ihnen sind! 17 Und Elisa betete und sprach: HERR, öffne ihm die Augen, dass er sehe! Da öffnete der HERR dem Diener die Augen, und er sah, und siehe, da war der Berg voll feuriger Rosse und Wagen um Elisa her. 

18 Und als die Aramäer zu ihm herabkamen, betete Elisa und sprach: HERR, schlage dies Volk mit Blindheit! Und er schlug sie mit Blindheit nach dem Wort Elisas. 19 Und Elisa sprach zu ihnen: Dies ist nicht der Weg und nicht die Stadt. Folgt mir nach! Ich will euch führen zu dem Mann, den ihr sucht. Und er führte sie nach Samaria, der Haupstadt Israels. 20 Und als sie nach Samaria kamen, sprach Elisa: HERR, öffne diesen die Augen, dass sie sehen! Und der HERR öffnete den Aramäern die Augen, und sie sahen, und siehe, da waren sie mitten in Samaria. 21 Und als der König von Israel sie sah, sprach er zu Elisa: Mein Vater, soll ich sie töten?

Liebe Gemeinde,

wir haben eben in der Lesung eine Geschichte aus dem 2. Königbuch gehört – bis zu der Stelle, bei der der König Israels fragt, ob er die Feinde töten solle.

Ein Text, der einen gewalttätigen Konflikt zum Inhalt hat.

Ein Text, der sich mir in diesen Tagen aufgedrängt hat.

In einer Zeit - wo uns eh so viele Probleme erdrücken – von der Klimakatastrophe bis hin zu Corona – wo sich unsere Welt eh wie ein Pulverfass gebärdet, hat ein Staatschef Feuer gelegt: mutwillig, verantwortungslos - menschenverachtend. Und macht damit nicht nur so vieles kaputt, sondern erzwingt Maßnahmen, die uns alle nicht guttun werden…so unabwendbar sie vielleicht auch jetzt sein mögen. 100 Milliarden allein in Deutschland für zusätzliche Rüstungsaufgaben! 100 Milliarden, die an anderer Stelle - für den Klimaschutz z.B. - besser angelegt wären. 

Es ist ein Drama!

Als jemand, der in den 70er und 80er Jahren den kalten Krieg als Schüler und Student erlebt hat – mit all den Drohgebärden und Aufrüstungsszenarien – hatte ich gehofft, dass wir wenigstens hier in Europa das nicht mehr nötig hätten. Aber es ist anders: das Trauma des atomaren Säbelgerassels ist wieder da.

Rhetorik und vor allem Bilder von Waffen – von kriegerischen Handlungen – all das dominiert jetzt unser Leben – unser Erleben: mittels sozialer Natzwerke sogar in Echtzeit.

Und daher brauchen wir – nicht nur als Christenmenschen - andere Bilder, damit wir nicht vollkommen von der Logik der Gewalt assimiliert werden. Damit unser Blick nicht wie gebannt an dem kleben bleibt – und wir nichts mehr anderes sehen.

Daher diese Geschichte aus dem 2. Königebuch, die wir eben gehört haben.

Eine Geschichte, die in der Lesung darin ausmündet, dass der verhaßte Feind sich in der der gegnerischen Hauptstadt widerfindet: eingekesselt – gefangen. 

Und der König Israels den Propheten Elisa fragt, ob er jetzt die gegnerischen Soldaten töten solle.

Das Ende der Lesung war aber eben nur ein Cliffhanger. 

Denn die Geschichte geht so weiter:

22 Elisa sprach: Du sollst sie nicht töten. Erschlägst du denn die, die du mit Schwert und Bogen gefangen hast? Setze ihnen Brot und Wasser vor, dass sie essen und trinken, und laß sie zu ihrem Herrn ziehen! 23 Da wurde ein großes Mahl bereitet. Und als sie gegessen und getrunken hatten, ließ er sie gehen, dass sie zu ihrem Herrn zogen. Seitdem kamen streifende Rotten der Aramäer nicht mehr ins Land Israel.

Dieser Schluss der Geschichte mag überraschen – so wundersam er wie auch die gesamte Geschichte sein mag. Wundersam – im wahrsten Sinne utopisch: ohne einen Ort in unserem Erfahrungshorizont. Und trotzdem gerade heute für uns so wichtig.

Ich sehe in dieser Geschichte jetzt nicht die Blaupause für eine Antwort wie der Konflikt im Osten Europas einfach gelöst werden könnte, so nachdenkenswert Vieles an dieser Geschichte gerade im Sinne einer Deeskalation auch ist. 

Mir ist sie vor allem wichtig, weil hier ein anderes Bild gezeichnet wird.

Ein anderes Bild als die Bilder aus dem Osten Europas.

Denn diese Geschichte träumt einen Traum.

Den Traum, dass die unendliche Geschichte, in der auf Gewalt immer neue Gewalt folgt, unterbrochen wird. Wo – um Bonhoeffer aufzugreifen – dem „Rad in die Speichen gegriffen“ wird.

Wo im Horizont dieser dort gezeichneten Gewaltabfolge der König Israels zunächst „militärisch-logisch“ vollkommen vernünftig handelt. Er kann sich eine Lösung des schon lange andauernden Konfliktes allein im spürbaren Sieg über die Aramäer vorstellen. Deshalb zieht er am Schluß auch die Tötung der aramäischen Truppen in Betracht. Der Tod der Soldaten als endgültiger Sieg über den König von Aram. Israel würde Stärke beweisen und würde dem Gegner eine verheerende Niederlage zufügen: physisch wie auch psychologisch.

Doch der Prophet schlägt etwas anderes vor.

Die Feinde sollen nicht niedergemet­zelt werden: man soll sie vielmehr bewirten und ihnen dann die Freiheit schen­ken. 

Mit der Logik der Stärke – und erst recht der der Gewalt – ist dies nicht zu vereinbaren. Elisa steigt da aus.

Elisa bringt dem König das in´s Gedächtnis, was schon in den Sprüchen Salomos geschrieben steht: "Hungert Deinem Feind, so speise ihn mit Brot - dürstet ihn, so tränke ihn mit Wasser!".

Am Ende der Geschichte wird betont, dass diese Strategie, beköstigend mit sei­nen Feinden umzugehen, Erfolg gehabt hat: "Seitdem kamen streifende Rotten der Aramäer nicht mehr in´s Land".

Ja - diese Geschichte träumt einen Traum.

Nicht das Ende des Feindes, sondern das Ende des Feindseins.

Das Ende des Feindseins! Das ist der springende Punkt.

Es ist eine Geschichte, die – wie schon gesagt – sehr wundersame Züge hat. Allein der Umstand, dass der König Israels sich selbst erst einmal ins Wort fällt und den Proheten fragt, was er tun solle, ist schon ein Wunder. Und erst Recht, dass er nicht nur Brot und Wasser den aramäischen Soldaten vorsetzt, sondern ihnen ein „großes Mal“ bereitet.

Diese Geschichte träumt einen Traum.

Und entwirft somit ein Gegenbild.

Und auf diese Gegenbilder sind wir angewiesen. 

Heute – die ganzen vergangenen Tage und erst recht für die kommenden Zeiten. Grundsätzlich.

Gegenbilder, die uns an der Verheißung festhalten lassen, dass sich hier auf Erden „Gerechtigkeit und Frieden küssen werden“ – wie es in den Psalmen heißt.

Festhalten an der Verheißung, was dann immer auch ein Widerstehen ist: Widerstand, um unsere Welt nicht der Logik der Gewalt zu überlassen.

Damit wir unseren Köpfen und Herzen uns von Gott entmilitarisieren lassen können.

Und dazu brauchen wir Kraft und Bilder!

Kraft und Bilder!

Und so ist das Tröstliche bei all dem, dass uns diese Kraft und diese Gegenbilder, diese Gegengeschichten, die voller Hoffnung und Zuversicht sind, auf dem silbernen Tablet angereicht werden.

Ein ähnlich wundersamer Text aus dem Matthäus-Evangelium, der von einer Zusammenkunft von Jesus mit Mose und dem Propheten Elia erzählt, die dem Nazarener auf einem Berg erschienen sind, bringt veranschaulicht das.

Und in dieser so wichtigen Geschichte findet sich dann diese Zeile:

„…und da erschienen ihnen Mose und Elia; (und:) die redeten mit Jesus

(Matthäus 17,5b)

Mose und Elia reden mit Jesus.

Ein kurzer, scheinbar beiläufiger Satz, der aber ganz entscheidend ist:

Mose und Elia stehen aus der Sicht des Evangelisten für die Tradition der damaligen biblischen Schriften.

Und diese biblische Tradition spricht mit Jesus. „Elia und Mose reden mit Jesus“. Sie werden lebendig. D.h.: die Frauen und Männer der Überlieferung, für die Elia und Mose stehen, sind gegenwärtig und reden mit ihm. Sie unterstützen Jesus im Augenblick der Gefahr. Jesus erfährt: ich bin nicht allein unterwegs. Auch in großen Schwierigkeiten muss ich mich nicht auf meine Glaubenskraft verlassen, nicht meine eigenen Hoffnungen mobilisieren. Ich bin nicht nur ich und muss nicht nur ich selber sein! Ich bin Teil der Menschen, die mit der biblischen Überlieferung gelebt haben und gestorben sind.

Überlieferungen wie eben diese Geschichte aus dem 2. Königebuch…und die vielen, unzähligen anderen.

Das ist der Grund, auf dem wir stehen: warum wir auch hier sind – heute … jetzt –, um auf die biblischen Stimmen zu hören: uns von ihnen stärken und trösten zu lassen. Und die Möglichkeit zu bekommen, mehr zu erwarten als Gewalt und Zerstörung.

Liebe Gemeinde,

nicht nur in solchen Zeiten – grundsätzlich ist der Glaube immer ein angefochtener – gebrochener. 

Ich selber erlebe ein Hin- und Hergerissensein: zwischen Angst und Resignation auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Hoffnung, die sich aus den biblischen Schriften speist.

Und gerade daher darf unser Blick nicht ein Tunnelblick sein – sondern immer wieder geweitet, damit wir im Kopf wie im Herzen haben, dass die Gewalt nicht das letzte Wort haben wird.

Das ist unsere Aufgabe in dieser so schönen wie auch abgründigen Welt: vom Ende des Feindseins zu träumen und: davon zu reden.

Daher zum Abschluss noch einmal die Worte, die eben im Blick auf Jesus formuliert waren:

Wir sind nicht allein unterwegs. Auch in großen Schwierigkeiten müssen wir uns nicht auf unsere Glaubenskraft verlassen, nicht unsere eigenen Hoffnungen mobilisieren. Wir sind jeweils nur nicht ich und müssen nicht nur jeweils ich selber sein! Wir sind Teil der Menschen, die mit der biblischen Überlieferung gelebt haben und gestorben sind.

Amen.

Dies könnte Sie auch interessieren

0
Feed