Predigt über Ezechiel 34,1-10 (4.5.2025)

Predigt über Ezechiel 34,1-10 (4.5.2025)

Predigt über Ezechiel 34,1-10 (4.5.2025)

# Emmaus: Predigten

Predigt über Ezechiel 34,1-10 (4.5.2025)

Liebe Gemeinde,

Das Bild vom „Hirten“ und seinen Schafen ist idyllisch. Gerade hier in Düsseldorf: die Schafherde am Rhein und der Hirte, die in diesen Tagen zu beobachten sind.

Aber es ist eben ein Bild.

Das vom Hirten und der Herde.

Und es kann unterschiedlich gefüllt werden.

So ist es in den biblischen Schriften vor allem ein Bild für diejenigen, die Verantwortung für andere zu tragen haben. Wie im Psalm 23 eben, wo Gott für uns Verantwortung übernimmt. Aber auch wenn um die Verantwortung von Menschen geht.  

Und um diese Verantwortung geht es im heutigen Predigttext:  

1 Da erreichte mich das Wort der Ewigen: 2 Mensch, rede prophetisch über die Hirtinnen und Hirten Israels, rede prophetisch und sprich zu ihnen, denen die Herde anvertraut ist: So spricht die Ewige, mächtig über allen:

Wehe den Hirtinnen und Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen Hirtinnen und Hirten nicht die Herde weiden? 3 Das Fett verzehrt ihr, in die Wolle kleidet ihr euch, die gemästeten Tiere schlachtet ihr – aber die Herde weidet ihr nicht! 4 Die Erschöpften stärkt ihr nicht, die Kranken heilt ihr nicht, die Gebrochenen stützt ihr nicht, die sich verirrt haben, bringt ihr nicht zurück und die Verlorenen sucht ihr nicht. Mit Gewalt haltet ihr sie nieder und mit Härte. 5 Meine Herde zerstreute sich, weil niemand da war, sie zu hüten. Sie wurde zum Fraß für alle Tiere des Feldes. 6 Meine Herde irrt umher über alle Berge und alle hohen Hügel. Über das ganze Land ist meine Herde zerstreut – und niemand fragt nach ihr, niemand sucht sie. 7 Deshalb, ihr Hirtinnen und Hirten, hört das Wort der Ewigen: 8 So wahr ich lebe - Ausspruch der Ewigen -, mächtig über allen –, weil meine Tiere zur Beute geworden sind und meine Herde zum Fraß für alle Tiere des Feldes wurde, weil niemand da war, sie zu hüten, und niemand nach meiner Herde fragte, weil die, denen die Herde anvertraut war, sich selbst weideten, meine Herde aber nicht weideten – 9 deshalb, ihr Hirtinnen und Hirten, hört das Wort der Ewigen: 10 So spricht die Ewige, mächtig über allen: Jetzt gehe ich gegen die Hirtinnen und Hirten vor! Ich fordere meine Herde aus ihrer Hand zurück, ich mache ihrem Hüten meiner Herde ein Ende. Die für die Herde verantwortlich sind, sollen sich nicht länger selbst weiden. Ich rette meine Herde aus ihrem Rachen, sie soll ihnen nicht länger zum Fraß werden. 

Dem Propheten Ezechiel werden diese Worte in den Mund gelegt. Inmitten einer Katastrophe. Ein Teil der Bevölkerung wurde nach Babylon deportiert und Israel selbst – das Land – und Jerusalem waren zerstört. Alles als Folge einer über Jahrzehnte vollkommen falschen Politik.

Er richtet sich an die Verantwortlichen - die Regierenden. Er hält ihnen vor, was sie alles falsch gemacht haben.

Weil sie eine Politik der Selbstüberschätzung betrieben haben – versucht haben, geopolitisch mitzumischen.

Und vor allem weil sie sich nur selbst bereichert haben - ohne Rücksicht auf andere. Weil sie nur an den eigenen Vorteil gedacht haben und ihnen gerade die, die ihre Unterstützung gebraucht hätten, vollkommen egal gewesen sind.  

Die Erschöpften stärkt ihr nicht, die Kranken heilt ihr nicht, die Gebrochenen stützt ihr nicht, die sich verirrt haben, bringt ihr nicht zurück und die Verlorenen sucht ihr nicht. Mit Gewalt haltet ihr sie nieder und mit Härte.  

Worte an die Verantwortlichen damals.

Worte, die eine frappierende Aktualität haben.  

All die Punkte, die der Prophet erwähnt, lassen sich quasi 1 zu 1 auf das legen, was in weiten Teilen unserer Welt gerade geschieht. Nicht nur in Amerika. Da wo es nur noch um Deals geht, das Recht Schritt für Schritt ausgehebelt, Humanität mit Füßen getreten wird, treffen Ezechiel ins Mark:  

Die Erschöpften stärkt ihr nicht, die Kranken heilt ihr nicht, die Gebrochenen stützt ihr nicht, die sich verirrt haben, bringt ihr nicht zurück und die Verlorenen sucht ihr nicht. Mit Gewalt haltet ihr sie nieder und mit Härte.  

Und wir sollten uns in unserer Republik an der Stelle nicht beruhigt zurücklehnen. Denn das, was wir hier erleben, ist sicherlich nicht so krass wie in den USA oder an anderen Orten dieser Erde, aber: viele Weichen sind in eine ähnliche Richtung gestellt – eine Richtung, in der Humanität mehr und mehr unter die Räder gerät..  

Doch Stop!

Wo ich jetzt unser Land erwähnt habe - muss ich erst einmal mir selbst ins Wort fallen.  

Ist es überhaupt statthaft, das zu tun?

Etwas Kritisches zur Politik in diesem Land zu sagen?

Darf ich als Vertreter einer Kirche so reden?  

Warum ich das jetzt so frage, wird vielleicht der eine oder andere, erahnen. Hat doch in den letzten Wochen wiederholt Julia Klöckner, die Präsidentin des Deutschen Bundestages - und das ist immerhin das zweithöchste Amt in diesem Staat - das politische Reden der Kirchen kritisiert.  

So war u.a. zu lesen:  

Ich zitiere:  

 „Ich halte es nicht immer für sinnvoll, wenn Kirchen glauben, eine weitere NGO zu sein und sich zu Tagespolitik äußern…“. Die Kirchen sollten sich stärker auf ihre Kernaufgaben konzentrieren und ihre moralische und spirituelle Verantwortung wahrnehmen.  

Und die Präsidentin des Bundestages ist nicht die einzige. Auch der bayrische Ministerpräsident hat sich letztlich ähnlich geäußert, als er im Februar im Blick auf die kirchliche Kritik an der Migrationsdebatte mit Drohgebärde sagte:  

„Nicht vergessen, wer am Ende noch an der Seite der Institution Kirche steht. Das sind nämlich wir. Nicht, dass irgendwann man ganz plötzlich alleine steht. Denkt mal darüber nach.“  

Natürlich:

Die Kirchen sollten sich stärker auf ihre Kernaufgaben konzentrieren.  

Nur was sind die Kernaufgaben?

Wo ist die moralische Verantwortung?

Da besteht im Verständnis dessen ein Dissens.  

Gehört das, was in dieser Welt politisch geschieht, nicht zur moralischen Verantwortung? Keine Kernaufgabe?  

Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen.  

So wurde es 1934 – inmitten des Faschismus – von der Bekennenden Kirche als zweite These der Barmer Theologischen Erklärung in Worte gefasst.  

Und jetzt kommt der alles entscheidende, zweite Satz dieser These:  

Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften.    

Es gibt keinen Bereich des Lebens, in denen wir als Christenmenschen sagen dürften, dass das unseren Glauben nichts angeht.

Und das schiebt einen Riegel vor die Haltung, als könnte eine Kirche in ihrem eigenen kleinen Kosmos fröhlich singen und beten und das eine oder andere zum Lebensvollzug beisteuern, aber zu dem, was in der Welt geschieht,  schweigen, weil es sie ja nichts angeht bzw. sie da nichts zu sagen hat.  

Seismograph für alle biblischen Schriften war immer, wie mit den Schwächsten in einer Gesellschaft umgegangen wird - und dazu zählen übrigens auch ganz ausdrücklich die Migranten. Wurden die Schwächsten geschützt bzw. ging es ihnen gut, war das auch immer ein Ausdruck, dass das Leben im Lande vital war - gingen es ihnen schlecht, zeigte sich das wie in einem Spiegel, dass viel schief war, mehr noch: dass das Land in eine vollkommen falsche Richtung steuerte, was meist in einer Katastrophe endete.  

Spätestens da standen die Propheten auf und legten den Finger auf die wunden Stellen. Sie sprachen aus, was in eine Schieflage geraten war.

Allein deswegen, weil es ihre Aufgabe war.

Weil Gott sie dazu berufen hatte.

Den Herrschenden, von denen wir in den biblischen Schriften lesen können, hat das nie gefallen. Sie wollten das nie hören, reagierten nicht selten damit, gegen die Propheten vorzugehen.

Es ging ja auch nicht um irgendwelche Kleinigkeiten. Ihr Machtrausch… ihr Machtmissbrauch wurde infrage gestellt - sie wurden an ihre Verantwortung erinnert.  

Und genau diese prophetische Tradition gehört zum Wesen unserer Kirche:  

„Ein Appell, Herr Präsident: Millionen Menschen setzen ihr Vertrauen in Sie. Sie erwähnten die schützende Hand Gottes. Ich bitte Sie, Erbarmen zu haben mit allen Menschen in unserem Land, die Angst haben», sagte Budde. 

«Das sind schwule oder lesbische Menschen, Demokraten, Familien. (..) Manche fürchten um ihr Leben. Es sind Menschen, die (unsere) Ernte einbringen, Gebäude reinigen, unser Geschirr waschen nach einem Restaurantbesuch oder in Geflügelfarmen und Fleischverpackungsfirmen arbeiten. Menschen, die den Nachtdienst übernehmen im Spital.» 

«Ich bitte Sie, barmherzig zu sein mit jenen, deren Kinder fürchten, die Eltern würden abgeschoben. Denjenigen zu helfen, die aus Kriegsgebieten oder vor Verfolgung fliehen.  Gott lehrt uns, Erbarmen zu haben mit Fremden. Wir alle waren einst Fremde in diesem Land.»  

Das sind die Worte, die Bischöfin Mariann Budde - die übrigens jetzt gerade auch auf dem Kirchentag in Hannover war - an Donald Trump gerichtet hat kurz nach seiner Amtseinführung.

Ein Appell (und damit auch implizit Kritik), seine Rolle als verantwortlicher Hirte - was er ja eigentlich sollte - zu erkennen und wahrzunehmen.

Ein Appell ganz in der Tradition der Prophetinnen und Propheten der biblischen Schriften.  

Kurzum: ausgehend von unserem aus der Bibel genährten Glauben können wir uns als Kirche gar nicht nicht einmischen in den Lauf der Welt.  

Kirche betreibt – und sollte es auch nicht tun – dabei keine Parteipolitik.

Aber sie ist von Grund auf parteisch!

Sie steht vom Wesen her an der Seite und auf der Seite der Schwächsten, der Armen – auf der Seite derer, die auch in diesem Land unter die Räder kommen.

Eine Kirche ist immer politisch und muss auch immer politisch sein – im Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und für die Bewahrung der Schöpfung – sonst hat sie hier auf dieser Erde nichts zu suchen.  

Und nicht erst die aktuellen Zeiten machen deutlich, dass wir nicht erwarten sollten, dafür Anerkennung von den Verantwortlichen zu bekommen.

Wir sollten keine Angst davor haben, dass da ein Gegenwind kommt. So wie die Bischöfin in Washington direkt nach dem Gottesdienst von Trump mit Hohn bedacht wurde.

Vielmehr sollten wir da auf DEN vertrauen, DER uns trägt und DER uns zutraut, in dieser Welt für die Humanität einzustehen.

Denn darum geht es: um Humanität.

Und da dürfen und müssen wir auch die Hirten mit Namen benennen, die ihrer Verantwortung nicht nachkommen.  

Amen.

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