04/05/2025 0 Kommentare
Predigt über Psalm 22 (Karfreitag 18.4.2025)
Predigt über Psalm 22 (Karfreitag 18.4.2025)
# Emmaus: Predigten

Predigt über Psalm 22 (Karfreitag 18.4.2025)
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, bist fern meiner Rettung, den Worten meiner Klage?
Mein Gott, ich rufe bei Tag, doch du antwortest nicht, bei Nacht, doch ich finde keine Ruhe.
Du aber, Heiliger, thronst auf den Lobgesängen Israels.
Auf dich vertrauten unsere Vorfahren, sie vertrauten, und du hast sie befreit.
Zu dir schrien sie, und sie wurden gerettet, auf dich vertrauten sie, und sie wurden nicht zuschanden.
Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, der Leute Spott und verachtet vom Volk.
Sei nicht fern von mir, denn die Not ist nahe; keiner ist da, der hilft.
Zahlreiche Stiere sind um mich, Baschanbüffel umringen mich.
Sie sperren ihr Maul auf gegen mich, ein reißender, brüllender Löwe.
Um mich sind Hunde, eine Rotte von Übeltätern umzingelt mich, sie binden mir Hände und Füße.
Zählen kann ich alle meine Knochen. Sie aber schauen zu, weiden sich an mir.
Sie teilen meine Kleider unter sich und werfen das Los um mein Gewand.
Ich will deinen Namen meinen Brüdern verkünden, in der Versammlung will ich dich loben.
Die ihr den HERRN fürchtet, lobt ihn, alle Nachkommen Jakobs, ehret ihn, erschauert vor ihm, alle Nachkommen Israels.
Denn er hat nicht verachtet noch verabscheut des Elenden Elend, hat sein Angesicht nicht vor ihm verborgen, und da er schrie, erhörte er ihn.
Alle Enden der Erde werden dessen gedenken und umkehren zum HERRN, und vor ihm werden sich niederwerfen alle Sippen der Nationen.
Denn des HERRN ist das Reich, und er herrscht über die Nationen.
Vor ihm werfen sich nieder alle Mächtigen der Erde, vor ihm beugen sich alle, die in den Staub sinken.
Erzählen wird man vom Herrn der Generation, die noch kommt, und verkünden seine Gerechtigkeit dem Volk, das noch geboren wird. Er hat es vollbracht.
Liebe Gemeinde,
Karfreitag konfrontiert uns Jahr für Jahr mit diesem schrecklichen Ereignis auf Golgatha.
Und stellt uns damit auch die Frage, wie wir Jesus da am Kreuz hängend – im wahrsten Sinne des Wortes – verstehen können?
Ist er einfach nur das Lamm, das sich – so in vielen Passionsliedern beschrieben – einfach so in den Tod führen lässt?
Einfach nur ein Opfer? Passiv? Schicksalsergeben?
Eine Möglichkeit, einer Antwort dieser Frage ein wenig auf die Spur zu kommen, ist der 22. Psalm, den wir eben zu Beginn dieses Gottesdienstes miteinander gesprochen haben. Der eine oder die andere wird mindestens einen Satz dieses Psalms wiedererkannt haben: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ – Worte, die wir eben auch in der Lesung hören konnten. Worte, die Jesus in den Mund gelegt worden sind.
Ein Zufall? Nein.
Vielmehr sind der Rückbezug des sterbenden Jesus auf alte Worte und so auf den 22. Psalm als Ganzes so etwas wie ein Verstehenshorizont für das, was sich auf Golgatha abgespielt hat.
Daher lassen Sie uns in diesen alten Psalm einmal eintauchen:
Der Mensch, der oder die da in diesem Psalm zur Sprache kommt, sieht sich mit dem Rücken an die Wand gepresst - bis zum Äußersten von anderen Menschen bedrängt.
Entwürdigt: kein Mensch mehr – anderen ausgeliefert. „Zahlreiche Stiere sind um mich, Baschanbüffel umringen mich. Sie sperren ihr Maul auf gegen mich, ein reissender, brüllender Löwe.“
Jesus, der den Beginn des Psalms nachspricht, findet sich in den dort mit Worten gemalten Bildern – der dort entfalteten Leidenssituation wieder. Jesus kriecht quasi in diesen Psalm, weil der Psalm ihm entspricht.
Verhöhnt, ausgepeitscht, bespuckt – eben: entwürdigt.
„Um mich sind Hunde, eine Rotte von Übeltätern umzingelt mich, sie binden mir Hände und Füsse. Zählen kann ich alle meine Knochen. Sie aber schauen zu, weiden sich an mir. Sie teilen meine Kleider unter sich und werfen das Los um mein Gewand.“
Und all seine Hoffnung im Sterben ist, dass was auch den Menschen beseelt, der lange vor ihm diese Worte formuliert hat: dass diejenigen, die ihm das Leid antun, eben nicht das letzte Wort behalten werden. Mehr noch: dass die Täter selbst umkehren werden zu Gott – ihr Unrecht – Ihre Unrechtstaten einsehen – und dass Gott allein herrschen wird:
„Alle Enden der Erde werden dessen gedenken und umkehren zum HERRN, und vor ihm werden sich niederwerfen alle Sippen der Nationen.
Denn des HERRN ist das Reich, und er herrscht über die Nationen.
Vor ihm werfen sich nieder alle Mächtigen der Erde, vor ihm beugen sich alle, die in den Staub sinken.“
Es ist alles andere als ein Zufall, dass in die Kreuzigung Jesu gerade dieser 22. Psalm eingezeichnet ist.
Denn dieser Psalm verändert sich die Sicht auf den sterbenden Nazarener.
Es ist nicht mehr allein dieses „Mein Gott, warum hast Du mich verlassen“ – das für sich allein gesehen werden könnte, dass Jesus kapituliert und so seinen Henkern recht gibt: im Leiden… in dieser so schrecklichen Situation … in dieser auch für Jesus kaum auszuhaltenden Anfechtung, dass auch Gott ihm den Tod nicht erspart… da bekommt Jesu Sterben etwas Widerständiges.
Weil Jesus sich an DEN Gott klammert, DER rettet – an DEN, DER befreit.
„Auf dich vertrauten unsere Vorfahren, sie vertrauten, und du hast sie befreit. Zu dir schrien sie, und sie wurden gerettet, auf dich vertrauten sie, und sie wurden nicht zuschanden.“
Diesem Befreier legt Jesus sein Leben in die Hände. DEM – und nicht in die Hände seiner Henker.
Wenn wir also von Jesus hören „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen...“, dann müssen wir all dies Weitere mithören.
Ergebung und Widertand // Widerstand und Ergebung.
Beides finden wir auf Golgatha.
Denn diejenigen, die Jesus in den Tod hineinquälen, sind nicht Ausdruck eines göttlichen Schicksals. Die Menschen, die Jesus den Tod bringen, stehen für diejenigen, die sich Gott und SEINER Weisung entgegenstellen.
Und: Jesus ist seinen Weg ganz bewusst gegangen. Ein Weg dessen, der die Weisung Gottes in jeder Pore seines Körpers gelebt und so auch verkörpert hat.
Auf Golgatha wird das Sterben dessen sichtbar, der der Tora – und so auch Gott – bis zum Schluss treu geblieben ist. So wie sich im Leben Jesu davor schon widergespiegelt hat, dass das Folgen Gottes Konflikte mit sich bringt.
Golgatha steht für das Sterben des Gerechten
Und klammert sich Jesus nun in seinem Sterben an den Gott der Befreiung, so ist das ein Akt des Widerstandes....gegenüber den Tätern.
Trägt Jesus die Folgen seines Tuns – der Treue gegenüber Gott – so ist das ein Akt der Ergebung....gegenüber Gott.
Versuchen wir also Jesu Tod am Kreuz im Horizont dieses 22. Psalm zu denken, wird vor allem ein Riegel vor die christliche Traditionslinie geschoben, dem Leiden meist empathielos einen Sinn zu geben. Bis dahin, Jesu Leiden als Leiden an sich zu überhöhen...als Leidensmystik.
Der Psalm 22 hilft uns zu sehen: Jesus markiert in seinem Sterben selbst das Unrecht, das ihm widerfährt. Sein Leiden hat nichts Schönes, Gutes.
Es ist Unrecht. Nichts anderes.
Was also stark zu machen ist angesichts dieses unwürdigen Todes am Kreuz – was zu betonen ist – ist die Hoffnung auf den befreienden Gott.
So trägt der 22. Psalm dann auch die Perspektive in die Stunden von Golgatha ein, die dann am Ostertag Gestalt angenommen hat: die Perspektive der Errettung.
Ostern als die Antwort Gottes auf das seinem Sohn widerfahrende Unrecht.
Ostern als das Datum, das die Täter, die Peiniger ins Unrecht setzt.
Ostern als das Datum, das zeigt, das sich die römischen Machthaber zu früh gefreut haben.
Ostern als das Datum, das Jesus wieder ins Recht setzt.
Wo dann die von mir schon zitierten Verses des Psalms deutlich machen, dass das Ins-Recht-Setzen Jesu eine grundsätzliche, eine globale Dimension hat:
„Alle Enden der Erde werden dessen gedenken und umkehren zum HERRN, und vor ihm werden sich niederwerfen alle Sippen der Nationen.
Denn des HERRN ist das Reich, und er herrscht über die Nationen.
Vor ihm werfen sich nieder alle Mächtigen der Erde, vor ihm beugen sich alle, die in den Staub sinken.“
Karfreitag ist DER Tag, an dem wir der Leiden Jesu gedenken.
Ja – das ist so.
Das sollten wir aber so tun in diesem hoffenden, widerständischen Sinne.
Gerade auch im Blick auf die Leiden – heute – in unserer Welt.
Die Worte des so alten Psalms sind aktuell heute – wie damals auf Golgatha.
Die Würde von Menschen wird auch heute mit Füßen getreten.
Hundertfach – tausendfach – millionenfach.
So können wir in dem Zimmermannssohn aus Nazareth nicht nur den Sohn Gottes erkennen, der da zu unrecht gefoltert wird – sondern auch den, der sich automatisch mit all denen solidarisch erweist, die das Gleiche wie erleiden: Opfer von Tätern zu sein.
Und dass Gottes Antwort an Ostern die fleischgewordene Hoffnung für sie ist – für uns – für diese Welt.
Amen.
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