31/08/2024 0 Kommentare
Zeit-Geist: Ein Zimmer für mich
Zeit-Geist: Ein Zimmer für mich
# Neuigkeiten aus Emmaus
Zeit-Geist: Ein Zimmer für mich
Von Doris Taschner. „Ein Zimmer für sich allein“ forderte im Jahr 1929 die Schriftstellerin Virginia Woolf in einem Artikel, der bis heute zu den wichtigen Texten der Frauenbewegung zählt. „Eine Frau braucht Geld und ein Zimmer für sich allein, wenn sie Bücher schreiben möchte.“, so schrieb Woolf. Das eigene Zimmer steht für eine geschützte Privatsphäre. Es ermöglicht die Entfaltung eigener Kreativität und ist ein Raum, in dem ich zu mir selbst kommen und ich selbst sein darf. Aber „das Zimmer für sich allein“ ist bis heute für viele, die in beengten Verhältnissen leben müssen, ein unerfüllter Wunsch und Luxus.
Auch im Krankenhaus ist das eigene Zimmer nur wenigen Privatversicherten vorbehalten. Die meisten müssen sich Zimmer und Bad mit einer bis drei Personen und deren Besuch teilen – und das in einer Situation großer Schwächung und Verletzbarkeit. Das Intime liegt offen dar. Ein ungestörter Raum für das vertrauliche Gespräch ist schwer zu finden. „Es ist, als ob ich meine ganze Persönlichkeit am Empfang abgegeben hätte“, sagt eine Patientin.
Sie zieht es, wie viele andere auch, regelmäßig in die Kapelle unseres Krankenhauses. „Dort finde ich Ruhe und komme wieder zu mir selbst“, sagt sie. Sie sei gar nicht besonders gläubig. Aber den gekreuzigten Jesus in der Kapelle, den findet sie faszinierend. „Der ist genauso nackt, bloß und gezeichnet wie ich gerade.“
Wie wichtig ist es, dass es in den meisten Kliniken immer noch Kapellen und Andachtsräume gibt! Sie bieten zwar auch kein Zimmer für mich allein, aber einen besonderen Raum, offen für alle, in dem ich mich zeigen, mich aufgehoben fühlen und ich selbst sein kann. Und vielleicht höre ich auch, wie dieser Raum, in dem schon so viele vor mir saßen, mit ihren Seufzern, Gebeten, ihrem Zweifel und Wünschen, zu mir spricht: Vom Angenommen sein und von einer Hoffnung, die größer ist als alles, an das ich derzeit ausgeliefert bin.
Doris Taschner ist Krankenhauspfarrerin im Marien Hospital und St. Vinzenz-Krankenhaus Düsseldorf, bis 2013 Pfarrerin in unserer Gemeinde. Der Text ist im März 2024 in der Kolumne „Auf ein Wort“ in der Rheinischen Post erschienen
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